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Ist es ein / / ? Kontrastive Untersuchungen zur Sibilantenassimilation

Ist es ein / / ? Kontrastive Untersuchungen zur Sibilantenassimilation im Französichen und Englischen. Gastvortrag SFB „Mehrsprachigkeit“ Universität Hamburg, 25.11.2010. Assimilation im Französischen.

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Ist es ein / / ? Kontrastive Untersuchungen zur Sibilantenassimilation

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  1. Ist es ein // ? Kontrastive Untersuchungen zur Sibilantenassimilation im Französichen und Englischen Gastvortrag SFB „Mehrsprachigkeit“ Universität Hamburg, 25.11.2010 Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  2. Assimilation im Französischen Es ist lange bekannt und gut erforscht, dass im Französischen bei angrezenden Konsonanten eine Assimilation der Stimmeinstellung stattfindet (“voice assimilation”). “C’est un groupe zulu” /p// z/→[bz] Die stimmliche Assimilation ist regressiv. Sie ist stärker von stimmlos zu stimmhaft als von stimmhaft zu stimmlos… …, und sie ist stärker, wenn sie nicht zu lexikalischen Ambiguitäten führt (Snoeren et al. 2006, 2008). Sie variiert mit dem Grad der syntaktischen Grenze (Kohler 2002). Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  3. Assimilation im Französischen Aber wie sieht es mit Assimilation des Artikulationsortes (“place assimilation”) aus? Diese Frage wird in der Literatur zur französischen Phonetik und Phonologie weitgehend ignoriert (Armstrong 1932; Batt 1960; Malmberg 1969; Price 1991)… …, oder es wird explizit behauptet, Ortsassimilation sei“non-existent in French” (cf. Fagyal et al. 2006:49) Ramus (2001:208): “English children […] must learn how place assimilation works in English […] if they were in a French environment, they would need to learn that there is no place assimilation, but that there is voicing assimilation” “Darcy (2002) performed word monitoring experiments in French and English that examined the role of context in processing […] regressive place assimilation (which occurs in English but not French)” (Gow 2003: 492) Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  4. Assimilation im Französischen Als eine der wenigen Ausnahmen weisen Fagyal et al. (2006:49) mit Bezug auf Léon and Carton (1983) and Gadet (1992) auf einen Sonderfall hin: “After schwa deletion in Northern Metropolitan French, sibilant + sibilant fricative sequences do show anticipatory assimilation of place. For instance in quinze juin ‘June fifteen’ […] the two adjacent sibilants form a ‘homorganic consonant cluster’ […] when the schwa is deleted” D.h., Ortsassimilation kann unter speziellen Bedingungen doch auftreten: Bei Sibilantensequenzen… …die durch Schwaelision… (→)…in der Varietät des ‘Northern Metropolitan French’ entstehen. Die hier auftretende Assimilation ist regressiv …und läuft in Zielrichtung ‘postalveolar’ ab. Kohler (2002:19) äußert sich ähnlich (aber nicht identisch!): “There are very few examples of place assimilation of consonants in the data. The succession of postalveolar and alveolar fricatives […] with schwa elision […] may result in […] [:]” Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  5. [ s] [ s] [: ] plus regr. voice [ si] [ si] [: i] Assimilation im Französischen Ist Ortsassimilation wirklich so stark beschränkt? “Je sais…” = “Je suis…” = In der Spontansprache sind diese Ortsassimilationen in Sibilanten-sequenzen – und die damit einhergehenden Reduktionen – der Regelfall. Z.B. “Je (ne) sais pas” = ‘Corpus of Interaction Data’, ‘CID’, 8h Dialoge, 16 Sprecherinnen und Sprecher südfranzösischer Varietäten (Bertrand et al. 2006) Die Ortsassimilationen sind auch in die Schrift eingedrungen, was zeigt, dass sie im metaling. Bewusstsein der Sprecher repräsentiert sind. Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  6. Assimilation im Französischen Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  7. [ s] [ s] : (postalv.) : (postalv.) [kEz ] [ si] [ si] Assimilation im Französischen Aber sind das nicht besondere Fälle/Formen? Hochfrequente Funktionswörter →“weak forms” in der Terminologie von z.B. Jones (1969) oder Kohler (2001) → D.h., sind “chai(s)”, “chui”, etc. tatsächlich das Resultat allg., prod. Prozesse? Oder sind sie zu feststehenden Ausdrücken geworden? → D.h., ist es tatsächlich angemessen “chai”, “chui”, etc. als reduzierte/assimilerte Varianten von “je sais”, “je suis”, etc. zu behandeln? “quinze juin“ “je sais/suis“ [kEz ] Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  8. “passe chez“ “avantage c‘est“ “mange sur“ [ s] [ s] : (postalv.) : (postalv.) [kEz ] [ si] [ si] Assimilation im Französischen Mit “quinze jours” wurden im ‘CID’ zwei zu “quinze juin” ([kE:], Fagyal et al. 2006) sehr ähnliche Fälle gefunden… …und zwar für südfranzösische Sprecher, die nicht dem ‘Northern Metropolitan French’ angehören. Daneben wurden eine Reihe weiterer Beispiele für progressive und regressive Assimilationen in Sibilantensequenzen gefunden, die in Richtung der postalveolaren [] oder [] gehen. “quinze juin“ “je sais/suis“ [kEz ] Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  9. „Scotch sur la bouch“ „recherche c‘est“ s    s   s Assimilation im Französischen Unvollst. temporale Assimilation Unvollst. spektrale Assimilation „Scotch sur la bouch“ Zudem war die alveolar-zu-postalveolar Assimilation in den Sibilantensequenzen offensichtlich nicht in allen Fällen vollständig. Die unterschiedlichen Assimilationgrade betreffen den Zeit- und Frequenzbereich. Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  10. Assimilation im Französischen Die bis hierin zusammengefassten Beobachtungen waren der Ausgangspunkt für eine systematische akustische Analyse mit gezielt erhobener Lesesprache… …auf Basis der folgenden Hypothesen: (1) In Sibilantensequenzen des Französischen können Assimilationen des Artikulationsortes prinzipiell vorkommen. (2) Diese Ortsassimilation ist sehr viel verbreiteter als in der Literatur angenommen. Sie tritt über schwache Formen und feststehende Ausdrücke wie “je suis” und “je sais” hinweg auf. (3) Die Zielqualität der Assimilation ist ‘postalveolar’ → Sie tritt progressiv und regressiv auf, je nach der Position des postalveolaren Sibilanten in der Sequenz (4) Der Assimilationsprozess ist insgesamt graduell und reicht von fehlender, über teilweise, bis zu vollständiger Assimilation der Sibilantenqualitäten. Aufgenommen wurden 6 Sprecherinnen aus Aix-en-Provence und Umgebung; insg. 2304 Sätze wurden gelesen und segm. annotiert. In Satzkontexte eingebettet wurden (a) hoch kontrollierte Pseudonamen (“Bas Chafe”) und (b) und echte Wortpaare (“classe chargée”). Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  11. Assimilation im Französischen Kurzzusammenfassung der Ergebnisse: Ortsassimilation trat in beide Richtungen – regressiv und progressiv – auf, aber stärker in regressiver Richtung. Grad und Domäne der Assimilation war klar sprechabhängig ABO und IVI stark bei progr.+regr. Assim. MTE stark regr. und schwach progr. CDL schwach in beide Richtungen Grundlage: /m/, /sm/ und alle 8 möglichen Sib.-Sequenzen Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  12. Assimilation im Französischen Kurzzusammenfassung der Ergebnisse: Wenn Ortsassimilation nicht vollständig, dann war postalveolarer Abschnitt länger als alveolarer. Gilt v.a. für ABO und MTE, schwächer auch für CDL Auch hier sprecherind. Effekte: ABO: komplementäre Längung/Kürzung MTE: Längung/Kürzung des 2. Sibilanten CDL: Längung/Kürzung des 1. Sibilanten Ergo: bei MTE und CDL verschiebt sich ebenf. die Gesamtdauer der Sibilantensequenz Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  13. zurück (velar) zurück (postalveolar, //) Assimilation im Französischen Fazit: Niebuhr et al. (2008 + accepted JPhon) haben erstmals in einer systematisch-phonetischen Analyse gezeigt, dass im Französischen Assimilation des Artikulationsortes vorkommt. Am Beispiel ‘alveolar’-zu-’postalveolar’ im Bereich der Sibilanten Im Deutschen und Englischen findet sich hier regressive Assimilation. Im Französischen ist die Zielqualität ‘postalveolar’ der bestimmende Faktor. D.h., die Assimilation kommt in regressiver und in progressiver Richtung vor. m sh „Have you seen Barbara‘s shoes ?“ „Ich muss es bis zum Bus(ch?) schaffen!“ Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  14. Perzeptorische Kompensation im Kontext Eine parallele Studie zur Ortsassimilation von Sibilantensequenzen im Englischen hat gezeigt, dass die Assimilation dort… …deutlich weniger sprecherübergreifend variiert und …insgesamt zu weit mehr Fällen führt, die anhand unserer CoG-Messungen als vollständig /s,z/  [] assimiliert gelten können. Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  15. Perzeptorische Kompensation im Kontext Viele Wahrnehmungsstudien zeigen übereinstimmend, dass Hörer über Wortgrenzen hinweg Ortsassimilationen kompensieren bzw. Zurücknehmen können, wenn der lautliche Kontext eine Assimilation wahrscheinlich macht. “lean bacon” und “leam bacon”  “leam gammon” Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  16. Perzeptorische Kompensation im Kontext Darüber hinaus gibt es Anzeichen, dass dieses Kompentationsvermögen durch die jeweilige Sprache geformt wird und somit sprachspezifisch ist (vgl. Gaskell 2003; Darcy et al. 2007). Würden also englische und französische Hörer Sibilantensequenzen anders wahrnehmen? Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  17. Perzeptorische Kompensation im Kontext Wahrnehmungsexperiment auf der Basis von Pseudowortpaaren …aus einem zuvor gelernten künstlichen Lexikon Probanden lernen Substantive (Formen) und Adjektive (Texturen) Diese werden kann in einem interaktiven Experiment anhand auditiver Instruktionen einander zugeordnet Messungen dabei: Augenbewegungen (Eye-Tracking) Knopfdruck Reaktionszeit zu Knopfdruck nach Revill et al. (2008) Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  18. samal shamal sival shinnow pagoon pentuf cavees caveesh pidas tamash nalip remop Perzeptorische Kompensation im Kontext Formen Texturen Wahrnehmungsexperiment auf der Basis von Pseudowortpaaren …aus einem zuvor gelernten künstlichen Lexikon Wort 1 Wort 2 Rendez le nalip shinnow s’il vous plait Render the nalip shinnow please Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  19. /ʃ/ /s/ 1 2 3 4 5 6 7 Perzeptorische Kompensation im Kontext Formen Texturen samal shamal sival shinnow cavees caveesh pidas tamash Wahrnehmungsexperiment auf der Basis von Pseudowortpaaren …aus einem zuvor gelernten künstlichen Lexikon Es wurden über Praat akustische Kontinua für die Sibilanten in den Zielwörtern erzeugt. Rendez le nalip shinnow s’il vous plait Render the nalip shinnow please Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  20. Perzeptorische Kompensation im Kontext samal shamal sival shinnow cavees caveesh pidas tamash Aufgabe wurde von 26 französischen und 25 englischen Muttersprachlern durchgeführt, die nur Grundkenntnisse der jew. anderen Sprache hatten Durchführung über 2 Tage: 1. Training mit isolierten Wörtern (120 Min.); 2a. Kontrolle (20 Min.) und VPn filtern; 2b Experiment (60 Min.) Es wurden über Praat akustische Kontinua für die Sibilanten in den Zielwörtern erzeugt. Rendez le nalip shinnow s’il vous plait Render the nalip shinnow please /ʃ/ /s/ 1 2 3 4 5 6 7 Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  21. Perzeptorische Kompensation im Kontext /ʃ/ 1 2 3 4 5 6 7 /s/ control shinnow” sival” “Render the cavee... Französische Hörer Englische Hörer Bei engl. Hörern zeigt sich diese Kompensation nur bei klarem [] in „caveesh“ Ab kleinstem []-Indiz in „caveesh“ erzeugt nachfolgendes „shinnow“ [s]-Wahrnehmung = Assim.-Kompensation Ergebnisse Knopfdruck: Z.B.: Sonst: unklare Misch- formen werden bei nachfolgend klarem [] öfter auch als [] gehört. Statistik (logistic mixed effects model): Effekt des folgenden /s/ vs. /sh/* Interaktion mit Hörer/Sprache*** Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  22. Es wird sofort zu „samal“ geguckt, wenn eindeutiges /s/ vorliegt Für unklare Mischformen UND die klare []-Form finden Augenbewegungen deutlich verzögert statt // aus “caveesh” Kontext Perzeptorische Kompensation im Kontext Französische Hörer • Englische Hörer zeigten kein asyn- chrones Verhalten; Kein Erwägen von progressiver Assi- milation nach „caveesh“ nötig! Ergebnisse Augenbewegungen: Z.B.“samal” – “shamal” nach dem “caveesh”-Kontext Augenbew.-Verzögerung (200 ms) Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  23. Perzeptorische Kompensation im Kontext Die sprachspezifischen Assimilationsmuster sind im Verhalten der Hörer einer Sprache reflektiert.  Der kognitive Umgang mit Assimilationen wird erlernt und ist keine sprachuniverselle “Verdrahtung”. Regressiv: Im Englischen ist Sibilantenassimilation eher kategorial.  Englische Hörer kompensieren []  /s/ nur bei eindeutigem []. Im Französischen führt Sibilantenassimilation eher zu Mischformen.  Franz. Hörer kompensieren []  /s/ NICHT nur bei eindeutigem [], sondern AUCH bei Mischformen. Progressiv: Im Englischen gibt es keine progressive Sibilantenassimilation.  Der zweite Sibilant der Sequenz kann nach // direkt “phonetisch dekodiert” werden.  Im Französischen wird der zweite Sibilant nur bei eindeutigem [s] direkt “phonetisch dekodiert”; für Mischformen und klare [] wird progressive Assimilation in Betracht gezogen.  Verzögert gezielte Augenbewegungen; wirkt sich allerdings nicht nachweislich auf Kopfdruckverhalten aus. Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  24. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ Durch die bidirektionale Assimilation zeichnen sich französische Sibilantensequenzen durch ein hohes Maß an potentieller Ambiguität aus: Z.B. [:] → /s/ , /s/ , /z/ , /s/ , und // Aber ist das tatsächlich der Fall? Es ist ein Axiom, dass Wortfolgen nicht Sequenzen diskreter Einzelsegmente sind. Vielmehr drückt jedes Segment seinem Umfeld seinen Stempel auf (= Koartikulation) Hinterlassen die (vollständig) assimilierten alveolaren Sibilanten “Spuren” in den umliegenden Vokalen? Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  25. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ Beispiele für solche “assimilationsresistenten” Spuren, die dann auch als Identifikationssignale (= “acoustic cues”) für den Hörer fungieren, gibt es bereits. Nolan’s (1992) EPG-Studie über alveolar-zu-velar Assimilation in Plosiven (/dg/ → [gg] wie in “bad girl” vs. “bag girl”). Selbst wenn die Assimilation aufgrund der EPG-Kontaktmuster als “vollständig” beschrieben werden kann, stellt Nolan fest, dass “auditorily, it seems that the vowel allophone before the lexical velar is slightly closer than before the lexical alveolar”(Nolan 1992:272) Seine Hörer, die in der Lagen waren, die laut messphonetischen Kennzahlen ambigen Fälle zu als z.B. /dg/ und /gg/ zu erkennen, weisen auf die perzeptive Relevanz dieser Beobachtung hin. Nolan’s impressionistische Bemerkung wurde später durch akustische Analysen seiner Daten durch Local (2003:329) bestätigt. Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  26. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ Hawkins & Smith (2001:10) → obwohl die /z/-Sequenz in “who’s sharpened” spektral annähernd mit der //-Referenz in “who sharpened” übereinstimmt, sind die vorausgehenden /u/ - besonders in puncto F2 und F3klar verschieden. Auch in unsere Fran- zösischen Daten weisen erste Beobachtungen auf assimilationsresistente vokalische Details hin. Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  27. 65ms 160ms 21dB vs. 17dB 43ms 160ms Assimilationsresistentes „phonetic detail“ /s/ /s/ Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  28. 57ms 150ms 18dB vs. 16dB 49ms 170ms Assimilationsresistentes „phonetic detail“ /s/ /s/ Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  29. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ Ausgangspunkt für eine systematische akustisch-phonetische Analyse Durchgeführt für einen kleineren Datensatz des Gesamtkorpus, den Pseudonamen wie “Bas Chafe” im konstanten Trägersatz “J’ai vu ___ hier”  Dabei: (a) /s/ , /s/ (Assimilations-Bedingungen) (b) /sm/ , /m/ (Referenzbedingungen für ‘alveolar’ und ‘postalveolar’) Innerhalb der 3 symmetrischen Vokalkontexte: /a__a/, /i__i/, /u__u/ Gemessen wurden… …Vokaldauer (ms), …Intensität (dB) in der Vokalmitte, nahe dem Intensitätsmaximum …und jeweils für Beginn+10ms, Mitte und Ende-10ms im Vokals: Amplitudendifferenz der ersten beiden Harmonischen H1-H2 als Repräsentant der Stimmqualität (Grad der Behauchung) Die ersten beiden Formanten F1 und F2 Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  30. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ Vokaldauern Die Vokale waren signifikant länger (im Durchschnitt 15-20ms, aber bis zu 60ms), wenn der nachfolgende Sibilant ein postalveolares // war. Gilt für Referenz- und für (assimilierte/neutralisierte) Sequenzbedingungen. Für Sequenzen sogar stärker. Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  31. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ Vokalintensitäten (in Vokalmitte nahe I-max mit Praat) Die Vokale, die Postalveolaren // vorausgingen, waren signifikant “leiser” (< Intensität in der Vokalmitte). Der Intensitätsunterschied beläuft sich im Durchschnitt auf 2-3dB, kann aber bis 5dB betragen. Gilt für Referenz- und für (assimilierte/neutralisierte) Sequenzbedingungen. Für Sequenzen sogar stärker. Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  32. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ Stimmqualiät (Grad der Behauchung des Vokals): Die Vokale waren signifikant behauchter (>H1-H2 Differenz) vor //. Gilt für Referenz- und für (assimilierte/neutralisierte) Sequenzbedingungen Dafür fand sich vor /s/ oft kurze [h]-Phase (“Präaspiration”) Die generelle Behauchung ebenso wie der Behauchungsunterschied nehmen zum Sibilanten hin eher zu. Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  33. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ Vokalqualität (in Form von F1 and F2): Kleiner, aber insgesamt konsistener Effekt des nachfolgenden Sibilanten Unabhängig von der Assimilation hat der Vokal vor // ein F2, der dem entsprechenden Kardinalvokal näher kommt (/i,a/ > F2, /u/ < F2) Aber: die F2-Unterschiede werden zum Sibilanten hin zunehmend egalisiert! Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  34. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ Weitere prüfstatistische Auswertung Es wurden 2 Diskriminanzanalysen durchgeführt, je eine auf Basis der Sibilantenmessungen (CoGs) und der Vokalmessungen. Diskriminanzanalysen versuchen, anhand der Messwerte, mit denen sie “gefüttert” werden, vorherzusagen, ob es sich um einen /s/- oder einen /s/-Fall handelt. Auf Basis der Sibilantenmessungen war keine signifikante Vorhersage/ Klassifikation möglich. Korrekte Zuordnungen zwischen 40-60% = Zufall. Auf Basis der Vokalmessungen war hingegen eine signifikante Zuordnung möglich. Rangfolge der akustischen Parameter: Dauer > Stimmqualität > F2 > Intensität > F1 Vorhersage war geringfügig schlechter für /i/  Trefferquote 73%. Anhand der akustisch-phonetischen Eigenschaften von /a/ und /u/ wurden 85-95% der Sibilantensequenzen korrekt als /s/ oder /s/ vorhergesagt. Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  35. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ Für das Englische haben wir wiederum eine parallele Studie zu assimilationsresistenten Vokalunterschieden durchgeführt. Ebenfalls für kontextualisierten Pseudonamen aus dem Korpus mit den stimmlosen Sibilantensequenzen in 3 symmetrischen Vokalumgebungen 2 Referenzbedingungen: /ss/, // 1 Assimilationsbedingung: /s/ 3 Vokalumgebungen /_/, /_/, /_ / Viss Simley Vish Shimley Viss Shimley Vass Sabson Vash Shabson Vass Shabson Voss Somdon Vosh Shomdon Voss Shomdon Wir sind zu gleichen Ergebnissen gelangt, wie im Französischen Vokale vor Sequenzen, die mit postalveolarem // beginnen, waren länger, behauchter und leiser (F2-Effekte waren nur in der Tendenz vorhanden), unabhängig davon, inwieweit die Sequenzen mit initialem /s/ eine regressive /s/  [] Assimilation aufwiesen. Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  36. 122ms, 72.8dB 90ms, 78.9dB Wer ist hier denn nun der echte „Voss Shombdon“? Assimilationsresistentes „phonetic detail“ Die Sibilantensequenzen /s/ und // haben ähnliche CoG-Werte (5.2kHz, 1kHz) und Dauern (155ms) Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  37. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ Assimilationsresistente Spuren in benachbarten Lautsegmenten können dazu beitragen, den Prozess der Assimilation in einem segmentübergreifenden Licht neu zu konzipieren und weitere Zweifel an der Existenz “vollständiger Assimilation” zu sähen. “Moreover, they have important implications for psycholinguistic theory, where debate continues about the processes underlying the perception of assimilated speech; all models focus on the consonants involved in assimilation. Clearly, if preceding vowels contain disambiguating cues then there is the potential to advance this theoretical debate.” (Gaskell 2009:3)  Perzeptionsexperimente mit Stimuli auf Basis der Pseudonamen im Französischen und Englischen Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  38. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ • Perzeptionsexperiment zum Englischen • 5 experimentelle Bedingungen aus /v/+Vokal und Sibilanten-sequenz: • Referenz 1: /v/+Vokal + schwach assimiliertes /s/ (= orig.) • Referenz 2: /v/+Vokal + unassimiliertes, originales // (= orig.) • Target 1: /v/+Vokal + stark assimiliertes /s/ (in Diskriminanzanalyse als // für die Sprecherin fehlklassifiziert (= orig.) • Target 2: /v/+Vokal aus Referenz 2 ersetzt entsprechenden Abschnitt in Target 1 (= manip.) • Target 3: /v/+Vokal aus Target 1 ersetzt entsprechenden Abschnitt in Referenz 2 (= manip.) • Jeweils mit allen 3 Vokalenumgebungen /,,/ = 15 Stimuli • 15 Stimuli für 2 Sprecherinnen, die stärker/schwächer assimiliert haben • Alle 30 Stimuli (orig.+manip.) wurden in ihrem originalen Äußerungs-kontext präsentiert. • Äußerungskontexte wurden über die 30 Stimuli annäherndausbalanciert. Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  39. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ Perzeptionsexperiment zum Englischen Die 15 Stimuli der beiden Sprecherinnen bildeten separate Experimente. In jedem Experiment kamen die Stimuli je 10 Mal in insgesamt randomisierter Reihenfolge vor = 150 Stimuli pro Experiment. 20 VPn haben am Experiment teilgenommen, aufgeteilt in 4 kleinere Gruppen von 4,4,5,7 Personen. Alle Muttersprachler des Britischen Englisch, seit Kurzem berufstätig / studierend in Kiel. Jeweils 2 VPn-Gruppen mit Experimentreihenfolgen A+B und B+A. Eine komplette experimentelle Sitzung aus A+B dauerte ca. 45 Minuten (inkl. Vorlauf und Pause zwischen A+B). Die VPn wurden instruiert und bekamen 9 Übungsstimuli vor dem eigentlichen Experiment. Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  40. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ Perzeptionsexperiment zum Englischen Quintessenz der englischsprachigen Instruktion: Es gibt eine englischsprachige Region auf der Welt, in der die Vornamen einem bestimmten System folgen. Die Namen der Frauen enden auf <s>, die Namen der Männer hingegen auf <sh>. Nachfolgend hören Sie Ausschnitte aus Dialogen, in denen sich Sprecherinnen über Menschen aus dieser Region unterhalten. Hören Sie gut zu und urteilen Sie anschließend: Wird über eine Frau oder über einen Mann gesprochen?  Es wurden nicht Sprachlaute, sondern Personen/Geschlechter identifi-ziert. = kein “phoneme monitoring” Urteile wurden durch Knopfdruck abgegeben. Taste 1 = <s>, Taste 2 = <sh>. Es wurden Urteile und die dazugehörigen Reaktionszeiten erfasst und automatisch derandomisiert, aufbereitet (mittels RMG3, IPdS). Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  41. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ Perzeptionsexperiment zum Englischen Quintessenz der englischsprachigen Instruktion: Vpn bekamen 5 Minuten, um sich die 9 Personen in Ruhe anzuschauen. Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  42. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ Perzeptionsexperiment zum Englischen Ergebnisse der Urteile: Die originalen Bedingungen werden klar als // (Ref2) oder /s/ (Ref1+Target1) identifiziert. Target 2 erreicht klar mehr // als das bis auf /v/+Vok. identische Target 1 Target 3 erreicht weniger // als die bis auf /v/+Vok. identische Referenz 2 Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  43. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ Perzeptionsexperiment zum Englischen Ergebnisse der Urteile: Die insgesamt ist die /s/-//-Differenzierung für /i/ geringer als für /,/ passt dazu, dass Sibilantensequenzen auch in der Diskriminanzanalyse wegen kleiner Vokalunterschiede für /i/ schlechter separiert wurden. Stark assimilierte Target 1 erreicht mehr // als schwach assimilierte Referenz 1 Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  44. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ Perzeptionsexperiment zum Englischen Ergebnisse der Reaktionszeiten: Immer gerechnet ab Beginn des /v/ des Vornamens Wenn die akustischen Signale der Vokale und Sibilanten in unterschiedliche Richtungen weisen, ist die Reaktionszeit deutlich größer (= Target 1 + 3) In Target 2 entsteht ein solcher “cue”-Konflikt nicht. Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  45. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ Perzeptionsexperiment zum Englischen Ergebnisse der Reaktionszeiten: Insgesamt kaum Unterschiede zwischen den Vokal-/Äußerungskontexten Die Sprechgeschwindigkeit war in den Stimuli von JOD ca. 1-2 Sil./Sek. schneller als für CLA, und für JOD sind auch die Reaktionszeiten 200-300ms kürzer (obwohl die Dauern für /v/+Vok. + Sibilantensequenz nicht kürzer sind!  Warum?) Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  46. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ • Perzeptionsexperiment zum Englischen • Fazit: • Die phonetischen Details des Vokals haben einen erheblichen Effekt auf die Identifikation des darauf folgenden Sibilanten als alveolaren /s/ oder postalveolaren //. • Dieselbe vollständig assimilierte /s/-Sequenz kann (fast) eindeutig als [s] oder [] identifiziert werden, je nachdem, welche Eigenschaften der vorangehende Vokal hat. • Sogar ein originales // kann als /s/-Sequenz interpretiert werden, wenn ein Vokal aus einem ursprünglichen /s/-Kontext vorausgeht. • Wahrnehmungsmodelle können Assimilation nicht nur Basis des Paares aus assimilerendem und assimiliertem Laut behandeln. • Die Befunde verstärken den Zweifel daran, ob es “vollständige Assimilation” überhaupt geben kann. • Wahrnehmungsexperimente zum Französischen folgen im Februar Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  47. Gesamtfazit Auch das Französische kennt regionsübergreifend das Phänomen der Ortsassimilation, allerdings weniger kategorial als im Englischen, dafür jedoch regressiv und progressiv. Die Unterschiede in Richtung und Grad der Assimilation bilden sich in einem sprachspezifischen Hörverhalten ab. Sowohl im Französichen als auch im Englischen gibt es vergleichbar ausgeprägte assimilationsresistente Unterschiede in den Vokalen vor dem bzw. den Sibilanten- Hörer können diese Details nutzen, um den nachfolgenden Sibilanten als alveolar oder postalveolar zu identifizieren. Entsprechend kann man in einer suprasegmentellen Perspektive nicht von kompletter Assimilation reden. Vielen Dank für Ihre lange Aufmerksamkeit ! Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  48. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ • Wodurch entstehen die sibilantenspezifischen vokal. Details? • Erster, vorläufiger Erklärungsansatz als Koartikulation: • Stimmlose Sibilanten involvieren zwei Gesten • eine supraglottale (artikulatorische)  Bildung der Friktionsenge • eine glottale (phonatorische)  Abduktion der Stimmlippen zur Herstellung der Stimmlosigkeit • Die artikulatorische Geste verursacht die Formantunterschiede • Die phonatorische verursacht die übrigen Unterschiede • langsamere Abduktion vor // schafft Behauchung mit kleinerer Energie als Nebenprodukt und nahtlosen Übergang vom Vokal in den Sibilanten (ohne Präaspiration), wodurch der Vokal zudem länger wird. Prof. Dr. Oliver Niebuhr

  49. Assimilationsresistentes „phonetic detail“ Wodurch entstehen die sibilantenspezifischen vokal. Details? Erster, vorläufiger Erklärungsansatz als Koartikulation: Ggf. erfordern die unterschiedlichen aerodynamischen Be-dingungen von /s/ und // das abweichende artikulatorische-phonatorische Timing Bei der (regressiven) Assimilation /s/  [] wird nur die artikulatorische Geste angeglichen, die phonatorische bleibt. Erklärt auch, warum die F2-Effekte insb. gegen Vokalende weniger robust waren als die der Dauer, Intensität und Behauchung Eine umgekehrte, gestenspezifische Assimilation ist implizit für die Stimme bereits bekannt (Snoeren et al. 2006; Kohler 2002; Kuzla 2009; Myers 2010) Prof. Dr. Oliver Niebuhr

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