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Grundlegendes zum Begriff „Setting“ 5 intelligent konstruierte Settings und ihre Architekturen

Dr. Mathias Schwabe FH Berlin / evangelisches Kinderheim Herne Intelligente Settings zwischen spezial und normal, flexibel und rigide, sicher und riskant Vortrag im Rahmen des Fachtages „Systemsprenger“ am 7.6.2013 in Wolfenbüttel.

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Grundlegendes zum Begriff „Setting“ 5 intelligent konstruierte Settings und ihre Architekturen

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Presentation Transcript


  1. Dr. Mathias Schwabe FH Berlin / evangelisches Kinderheim Herne Intelligente Settings zwischen spezial und normal, flexibel und rigide, sicher und riskantVortrag im Rahmen des Fachtages „Systemsprenger“ am 7.6.2013 in Wolfenbüttel

  2. Grundlegendes zum Begriff „Setting“ • 5 intelligent konstruierte Settings und ihre Architekturen • 8 Ingredienzien für „funktionierende“ Settings • Settings für Systemsprenger - zwischen spezial und normal - zwischen Freiraum und klaren, evt. auch rigiden Regeln bzw. Zwang - zwischen (zu) viel und (zu) wenig an Betreuung - zwischen sicher und riskant 5) Chancen des Verbundes

  3. Setting engl. = Anordnung, Schauplatz Definition 1: Ein Setting gruppiert und verknüpft Elemente planvoll für einen spezifischen Zweck (Therapie, Erziehung, Bildung).

  4. „Setting“ Definition 2 Was wird gruppiert bzw. verknüpft? Orte, Gegenstände, Zeiten, Aktivitäten und Personen Ziel: Ermöglichung bzw. Unterstützung von Prozessen bzw. Begegnungen Beispiel: das analytische Setting zentrale Elemente: die Couch bzw. das Liegen, der unsichtbare Therapeut, das freie Assoziieren, die festen 50 Minuten, x-mal die Woche…

  5. Ein Erziehungshilfe-Setting und seine zentralen Elemente Tagesstruktur Punkte- programm Wöchentl. Konflikt- training ??? (Tischkicker) erlebnispäd. Exkursionen

  6. „Setting“ Definition 3 Settings beinhalten feste Elemente und ritualisierte Abläufe Sie besitzen unveränderbare Strukturen, die dem Individuum als „Realität“ gegenüber treten und an dessen Setzungen es sich orientieren und reiben kann/muss. Settings enthalten aber auch Elemente und Bereiche, die mit gestaltet und/oder ausgehandelt oder umgenutzt werden können. Das Konzept ist die „Landkarte“, das Setting die „Landschaft“, oft hat sich vieles getan in der Landschaft, von dem die Karte nichts weiß.

  7. Setting-Definition 4 Das Wirksamwerden von „Settings“ bleibt angewiesen auf • „Passung“: Vorgespräche und das Erfragen von Klienten-Vorstellungen sind sinnvoll und nötig, aber reichen nicht aus ( nicht Freiwilligkeit, nicht verbale Zustimmung), sondern Fallverstehen im Sinne von „was und wie viel geht bei dem/der?“ • „Ermächtigung“ durch junge Menschen und Eltern. Ermächtigung ist ein basaler Prozess der Zustimmung auch und gerade angesichts eigener Ambivalenzen, der erst nach einer Zeit der Prüfung erfolgt und periodisch erneuert werden muss; er bleibt häufig unbewusst und vorsprachlich.

  8. Definition „Setting“ 5 „Settings“ sind und bleiben „künstlich“ geschaffene Gebilde, die immer auch als „fremd“ und „irritierend“ erlebt werden (sollen). Settings stehen immer in Spannung zu „Lebenswelt“. Dennoch entwickeln „gute Settings“ über die Integration ihrer Elemente eine organische, beinahe „natürliche“ Qualität. Und werden so Teil der „Lebenswelt“…

  9. Einzelne Setting-Elemente können unterschiedlich gut realisiert sein Klar strukturiert abwechslungsreich sehr gut eher bestrafend als motivierend Trainer nicht ernst genommen ? gut, aber personen- abhängig

  10. Setting-Definition 6 • Das Setting ist nur so gut, wie seine einzelnen Elemente verwirklicht sind… • Aber: Die Addition einzelner, selbst guter Setting-Elemente macht noch kein „pädagogisches Milieu“ aus • Dazu müssen die Setting-Elemente zusammen passen, Teile eines Ganzen werden, von einem „Geist“ durchdrungen werden…besonders wichtig für Gruppen-settings

  11. Integration der Setting-Elemente zu einem Ganzen Punkte- programm Tagesstruktur ? Wöchentl. Konflikt- training erlebnispäd.- Exkusionen

  12. Setting plus Integration plus „Geist“ = pädagogisches Milieu Tagesstruktur Punkte- programm pädagogisches Milieu ? wöchentl. Konflikt- training erlebenispäd. Exkursionen

  13. Voraussetzungen für die Integration der Setting-Elemente • eine vom Team geteilte Haltung bzw. Erziehungsphilosophie • immer wieder neues Ringen um das Konzept (erst Streit, dann Einigung, dann wieder Streit usw.) • lernende Organisation, die ausreichend (oft) Gelegenheiten zum ungestörten Nachdenken ermöglicht • Eingeständnis von Fehlern, Aufarbeiten von Fehlern, Mut zu zeitlich befristeten Experimenten

  14. Zentrale Überprüfungsfragen Lassen sich die Klienten auf unser Setting ein? Auf welche Elemente mehr, weniger? Welche Settingelemente nutzen sie anders als gedacht? Was machen sie (Sinnvolles) daraus? Welche Settingelemente müssen wir aufgeben bzw. verändern, damit sie oder das Gesamtsetting besser „passen“? Welche Settingelemente müssen wir verteidigen, besser bewerben oder offensiver durchsetzen? Haben wir schon ein Milieu, oder hangeln wir uns noch von Settings-Element zu Element?

  15. 2. Intelligente Settings für sog. „Schwierige“ und ihre Architekturen „COME IN!“ Hamburg , Drogenabhängige Zentrale Setting-Elemente: • Großgruppe 25 Jugendliche und mehr (immerzu auf dem Weg zur Gemeinschaft) • der „Gong“ und die Diskussionen der Peers • Abbruch (und Wiederaufnahme) gehören mit dazu • Komplette Eigenversorgung: Kochen, Putzen, Waschen, Gärtnern etc. • Innige Kooperation von Sozialpädagogen, Lehrern, Werkpädagogen

  16. „Bude ohne Betreuung“ (BOB)mehrfach entlassen, Phasen auf der Straße, „Hilfe-müde“Jugendliche ab 14 JahreBerlin Zentrale Setting-Elemente (Stand bis 2007): • die eigene Mini-Bude • max. Freiraum, kaum Regeln • Rahmenangebot: Anlaufstelle • Nicht-Pädagogen als Ansprechpartner und Koordinatoren als Verbindungs-Leute • der wöchentl. Geld-Termin im Jugendamt • zwei Jugendamts-Mitarbeiter übernehmen den Fall von den KollegInnen und halten ihn frei von Hilfeplanungsanforderungen

  17. „Arbeiten und Lernen“, Berlinambulantes Angebot für Schulverweigerer Zentrale Setting-Elemente: • Geld für`s Kommen und Durchhalten auf das eigene Konto (tägl. 8 Euro) • 9.00 – 16.00 Schule und Arbeiten • Sichtbare Projekte im Stadtteil „Das war ich!“ • Sozialpädagogen, Lehrer, Handwerker, Künstler: Hand in Hand • Vermittlung in Arbeit(sprojekte) • Klare und strengeRegeln (Rauswurf)

  18. Stuntschule Lüneburg Zentrale Settingelemente: • Charismatischer Leiter (Ex-Stuntman) • Räume = Filmlandschaften • Körper als Bildungsmedium • Virtualisierung von Aggression/Gewalt • Gemischte Gruppe: 3 Plätze U-Haft-Vermeidung, 2 -3 übernommene und 10 – 12 ARGE-Jugendliche • Familiäre Atmosphäre (Hartz 4 - Milieu)

  19. Eltern-Kind-Familienhaus Zentrale Setting-Elemente (Michael Biene) • Die ganze Familie wird aufgenommen, das „schwierige Kind“ ist mit dabei • entweder klarer Druck vom Jugendamt: „sonst ist Ihr Kind weg…“ • oder Eltern, die erlebt haben, dass Spezialisten/Einrichtungen es auch nicht hinbekommen: „wenn, dann schaffen wir das!“ • Was kann/muss ich als Mutter / Vater tun? • Zielplakate und Rollenspiel • Tägliche Elternrunde (später wöchentlich)

  20. 3. Was ist das Gemeinsame an diesen Settings? Was sind die Bestandteile bzw. Ingredienzien, die in jedem Setting für „Schwierige“ besonders bedeutsam sind?

  21. 8 Ingredienzienaus der Perspektive der Jugendlichen • Lohnende Rahmenangebote: „Ich hab`was davon, da hinzugehen / da zu bleiben !“ • „Die halten was aus!“ • Strukturen, die mit klaren und glaubhaften Begrenzungen arbeiten (Beendigung, evt. auch mit der Androhung existenzieller Konsequenzen = Zwang) • Fair geführte Auseinandersetzung mit Peers und / oder Erwachsenen (Betreuern/Pädagogen) • Wahlmöglichkeiten • Erfahrungen von Anerkennung bzw. Gelingen (Selbstwirksamkeitserfahrungen) • Gelegenheiten für Herausforderungen, Abenteuer bzw. Freiräume, um sich selbst zu erleben • Eröffnung von glaubhaften Zukunftsoptionen

  22. Was fehlt häufig an Voraus-setzungen in den Einrichtungen ? • Rahmenangebote für die Kinder / Jugendlichen nicht wirklich wichtig Gebrauchswert zu gering • Grenzsetungen und Machtüberhang auf Seiten der PädagogInnen unklar, damit auch die Sicherheitslage für alle Beteiligten • Personal-Kapazitäten für Doppeldienste bzw. individuelle Angebote (so wie für Krisen und „Auszeiten“) fehlen • Interinstitutionelle Kooperationen unklar und von Misstrauen und Angst geprägt • Wichtige Akteure im „Hinterland“ bleiben unberücksichtigt (Eltern, Peers)

  23. 4. Settings für Systemsprenger Die entscheidende Frage ist zumindest am Anfang nicht: „Was tun wir für ihre Entwicklung?“ sondern „Wie können wir sie aushalten?“ bzw. „Wie können sie es bei uns aushalten, ohne weiter oder noch schlimmer zu eskalieren?“ Das ist dann schon Entwicklung!

  24. Wie bereiten wir uns vor? • Keine Panik, aber viel Respekt.... • Mut und Kreativität beim „Stricken“ und Erlaubnis zum Experiment vom (Landes-) Jugendamt • Fallverstehen: Dynamik, Energien, Abbruchmuster • Die „Knackpunkte“ kennen und wissen, wie wir damit umgehen wollen • Belastungen auf mehrere Schultern verteilen • Schutz von jungen Menschen und MitarbeiterInnen sicher stellen • Klare Zuständigkeiten / schnelle Erreichbarkeit in Krisen • Plan B: was machen wir, wenn auch dieses Setting „kracht“?

  25. A) Zwischen spezial und normal Wir brauchen Spezialangebote mit außer-gewöhnlichen Setting-Elementen und besonderen Reizen, die junge Menschen faszinieren können aber auch „stinknormale“ möglichst Alltagsnahe-Settings, in denen selbst-gewollte Normalisierung erlebt und eingeübt werden kann. Häufig brauchen die Jugendlichen eine Art Pendelbewegung zwischen diesen Welten. • Sonja (14): zwischen selbst gesuchten Pflegefamilien, der Heimgruppe und der eigenen Wohnung • Björn (16): zwischen Arbeit, Junggesellenbude und Psychiatrie

  26. B) Zwischen offen/liberal und rigide Wir brauchen Settings, in denen Freiräume im Vordergrund stehen und als einengend erlebte Regeln/Forderungen zurück gefahren werden, aber auch Settings, in denen es klare Regeln und „knallharte“ Sanktionen gibt. Auch das lässt sich manchmal in einem Setting kombinieren. Jonas (14): mit Zwangswandern gegen Gewalt Eshter (15): „Ich habe am Abgrund balanciert und wollte, dass das jemand sieht und aushält“.

  27. c) zwischen viel und wenig Wir brauchen Settings mit hoher Betreuungsdichte an einem oder an unterschiedlichen Orten und Settings mit einer Person bzw. „langer Leine“ bzw. spartanischer Betreuung (und der Unterstützung anderer Systeme bzw. Bündnispartner) Franziska (12): drei Orte für den Tag Tanja (17): jede Woche einmal Mc Donalds und eine unangenehme „Tante vom Amt“ Aaron (16): von 400 Euro auf 620 und zurück auf 160 innerhalb von einem Jahr

  28. d) zwischen sicher und riskant Alle „Schwierigen“ • greifen das Setting bzw. die Personen, die dafür stehen an, egal welches, egal ob gewählt oder „aufs Auge gedrückt“ • versuchen es auszuhebeln, zu manipulieren oder zu zerstören • bringen die Erwachsenen an ihre Grenzen, wollen deren Ratlosigkeit, Verzweiflung erleben und spüren • hoffen (insgeheim), dass das Setting überlebt und können sich dann einlassen (müssen aber manchmal gerade dann weggehen, weil sie Anpassung oder Akzeptanz als Verrat am „wahren Selbst“ erleben)

  29. d) zwischen sicher und riskant Insofern kann es keine sicheren Settings geben für sog. „Systemsprenger“, nur das Manövrieren mit jeweils anderen, gleich riskanten Dilemmata • Begrenzungen führen zu Gewalt-Eskalationen / Gehenlassen führt zu Selbstgefährdung • Gewalt entläd sich entweder im Binnenraum der Einrichtung oder draußen in der Welt / auf der Straße • Gruppensettings sind zu komplex und führen zu Gefährdung der Anderen, Einzelsettings zu Vereinsamung und Kontroll-Lücken

  30. Gelingen braucht Risiko-Allianzen Alle müssen wissen, wie gefährlich es mit diesem jungen Menschen ist und was auf dem Spiel steht… • Jugendamt und Freier Träger tragen die Risiken gemeinsam (Info-Weitergabe !) • treten gemeinsam gegenüber Psychiatrie, Polizei, Justiz und anderen Behörden auf • stehen bei Katastrophen gemeinsam der Presse gegenüber Rede und Antwort

  31. Settings können mit Blick auf die jeweilige Zielgruppe oder den jeweiligen Einzelfall • Über- oder unterstrukturiert sein • zu viel oder zu wenig Verhandelbares bzw. Unverhandelbares aufweisen • zu viel oder zu wenig an „Normalität“ abverlangen • zu viel oder zu wenig an Beziehungs-angeboten / Sachorientierung (Nähe/Distanz) beinhalten • Zeitlich zu kurz …zu lange angelegt sein

  32. (Deswegen) Kein Setting ohne Abbruch/Rauswurf • Kein Setting hält alle bzw. alles aus. Die Erfahrung des Scheiterns kann produktiv werden: für junge Menschen und Einrichtungen • trotzdem ist „Aushalten“ steigerbar • trotzdem kann aus jedem Abbruch gelernt werden (Mitarbeiter, Team, Einrichtung, Jugendamt) • trotzdem sollte jeder Abbruch angemessen betrauert werden

  33. Der Verbund als Setting zweiter Ordnung und seine Chancen • Interessant für Jugendamt als Auftraggeber: Auftragvergabe nicht an einen Träger sondern ein Konsortium • Verknüpfung von personellen und institutionellen Ressourcen und Kompetenzen möglich und nötig 3) Mehrere fachliche Perspektiven aus unterschiedlichen Einrichtungskulturen kommen zusammen. 4) Geteilte Verantwortung und „breiteres Kreuz“ bei Fehlschlägen und Skandalen • Zwang zum Austausch und gemeinsamen Lernen bei Erfolg und Scheitern 6) Gewichtiges Gegenüber für Kooperationspartner: Psychiatrie, Polizei, Justiz, Gesundheitsamt • Modelle Flexibler Finanzierungen mit dem Jugendamt und untereinander

  34. Es bleibt riskant… Ob junge Menschen und HelferInnen „nur“ ein paar „schlimme Jahre überleben“ müssen“ (D.W. Winnicott) oder „Bodenloses“, Gebrochenes“ und „Todesnähe“ in den jungen Menschen (schon) die Überhand haben oder gerade bekommen oder unsere „Settings“ unpassend oder schlecht realisiert waren, wissen wir – wenn überhaupt - immer erst hinterher.

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