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Psychiatrische Krankheiten im transkulturellen Kontext

Psychiatrische Krankheiten im transkulturellen Kontext. Dr. med. Besnik Abazi, Oberarzt, Ambulatorium Psychiatrie Baselland Rheinfelden, 15.03.2013. Migration und Gesundheit. Menschen mit Migrationshintergrund sind nicht grundsätzlich “kränker“…

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Psychiatrische Krankheiten im transkulturellen Kontext

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Presentation Transcript


  1. Psychiatrische Krankheiten im transkulturellen Kontext Dr. med. Besnik Abazi, Oberarzt, Ambulatorium Psychiatrie Baselland Rheinfelden, 15.03.2013

  2. Migration und Gesundheit • Menschen mit Migrationshintergrund sind nichtgrundsätzlich “kränker“… • … doch unterliegen sie höheren Gesundheitsrisiken, bedingt durch die Umstände der Migration (Verfolgung, Folter, Trennung von der Familie und Heimat) • Migrantinnen und Migranten haben überdurchschnittlich häufig einen niedrigen sozioökonomischen Status, gehen einer gefährlicheren Arbeit nach, sind arbeitslos oder leben in schlechteren Wohnsituationen • Unklar ist, welcher Anteil der Gesundheitsbelastung auf migrationsbedingte Faktoren und welcher auf statusspezifischen Faktoren zurückzuführen ist Quelle: Schwerpunktbericht der Gesundheitsberichterstattung des Bundes “Migration und Gesundheit“ RKI 2008

  3. Ansprüche an die Klinikbehandlung • Das Bedürfnis aller Patientinnen und Patienten ist prinzipiell gleich und unabhängig von einem Migrationshintergrund Sie sind krank und möchten nach ihren Vorstellungen versorgt werden! • Die Vorstellungen unterscheiden sich im Grunde nicht von denen der Einheimischen • Wunsch nach Begleitung, Linderung und Heilung • Akzeptanz und Annahme des Menschen • Respekt • Gerechtigkeit und Vertrauen!

  4. Die Klinik ist ein Ort der Konfliktballung: Krankheit, drohender Verlust, Tod • Beschäftigt Menschen unter hohen Belastungen • Unterliegt Rahmenbedingungen • Ist ein fein abgestimmtes, komplexes System • Ist nicht flexibel • Gewährt wenig Spielräume zur individuellen Gestaltung der Arbeit

  5. Unterschiedliche Erwartungen • Zugewanderte Patientinnen und Patienten fühlen sich im Gegensatz zu den Einheimischen gesundheitlich eingeschränkter • Migrantinnen und Migranten sind unzufriedener mit der psychosozialen Betreuung und der medizinischen Aufklärung im Spital • Ihr Zugang zur Gesundheitsversorgung ist schlechter Quelle: Azum, Geiger at al 2004

  6. Sich unverstanden fühlen – Sprachbarriere • Fällt die Sprache als effektivstes Kommunikationsmittel aus, stehen nur noch weitaus unsicherere und aufwändigere Strategien zum Austausch zur Verfügung • In Krisensituationen, wie dem medizinischen Notfall, ist die Sprachbarriere mit Zeit- und Handlungsdruck des medizinischen Personals gepaart • Das Verständnisproblem führt zur Hilflosigkeit auf beiden Seiten mit der Folge der überschiessenden Aktion der Versorgenden und/oder Vermeidung und Verunsicherung auf Seiten der Migrantinnen und Migranten Folgen: Vermehrte Diagnostik, geringere Patientenzufriedenheit, geringere Therapietreue, höhere Gesundheitskosten

  7. Abbau der Sprachbarriere • Die gemeinsame Sprache löst natürlich nicht alle Probleme, aber hilft sicherlich, sich ihnen zu nähern! • Als erste Massnahme muss der Kommunikation (organisatorisch) Raum und Zeit gegeben werden: • Sprachliche Schwierigkeiten sind kein prinzipielles Hindernis für Verständigung auf niedrigem Niveau: Alltägliches kann auch mit Händen und Füssen und ohne Dolmetscher verständlich gemacht werden • Kernproblem: Verständigungsversuche werden zu früh abgebrochen (Zeitproblem?) • Wenig eingehen auf das sprachliche Niveau des Pat. (Zeitproblem?)

  8. Dolmetschersysteme • Der Austausch mittels Dolmetscher ist ein flexibles Hilfsmittel, doch birgt es auch Nachteile: • Laiendolmetscher sind zwar meistens verfügbar, bei schwierigen Sachverhalten schlichtweg überfordert und medizinisch nicht geschult • Professionelle Dolmetscher sind teuer und oft nicht flächendeckend verfügbar. Die Qualität ist, wie bei den Laiendolmetschern, nicht einheitlich und insgesamt schwer zu überprüfen

  9. Bilinguales Personal als Dolmetscher • Bilinguales Personal bietet medizinische Kenntnisse, ist im eigenen Haus verfügbar und wird im Allgemeinen von Migrantinnen und Migranten, sowie von den Kolleginnen und Kollegen gut angenommen, ABER • Bilinguales Personal steht oft im Interessenskonflikt (Mitarbeiter und Dolmetscher) • Kann dem Hausanspruch, bzw. eigenem Anspruch alle Patienten gleich zu behandeln nicht nachkommen • Befindet sich in einer Sonderrolle (für Migranten zuständig) • Ist nicht für diese Aufgabe ausgebildet • Nicht für alle Sprachen einsetzbar • Hat keine nachgewiesene Vermittlungskompetenz • Gemeinsamer Migrationshintergrund als Basis der konfliktfreien Verständigung? Quelle: V. Dreissig, interkulturelle Kommunikation im Krankenhaus. transcript 2005

  10. Weitere Massnahmen zur Reduzierung der Sprachbarriere • Standardisierte Informationen in den Hauptsprachen zur Verfügung stellen • übersetzen und das vorhandene Material in eine leichte deutsche Sprache überführen z.B.: • Zustimmungserklärungen • Relevante Informationsmaterialien • Beschilderung im Krankenhaus mit • „allgemeinverständlichen“ Piktogrammen versehen • Sprechstunden und Informationsveranstaltungen etablieren (in leichter Sprache und/oder ausgewählten Sprachen)

  11. Die kulturelle Barriere • Ohne Basis des sprachlichen Austauschs ist keine Verständigung über die kulturellen Bedürfnisse möglich • Interkulturell unterschiedliche Ansichten zu Gesundheit und Krankheit bei verschiedenen Wertesystemen können bei vorhandener Sprachbarriere nicht thematisiert werden • Kulturelle Besonderheiten können zu Missverständnissen im Rahmen von Diagnostik, Therapie und Pflege auf beiden Seiten führen • Dadurch Reduktion der Behandlungsqualität -> Folge: Verständnislosigkeit, Stagnation, Isolation.

  12. Wissen über andere Kulturen... ... hilft, ist aber auch keine Lösung! • Analyse, um welche Kultur es sich handelt, bedeutet nicht gleichzeitig sie zu verstehen und schon gar nicht automatisch eine adäquate kultursensible Versorgung. • Patienten verhalten sich auch unterschiedlich unabhängig von ihrem kulturellen Hintergrund. • Wer kann alle Kulturen und ihre Besonderheiten im Stationsalltag kennen, zumal sich Kulturen permanent ändern? • Die Problematik der Migrationserfahrung und des Migrationshintergrundes ist wesentlich für das Verständnis! Quelle: V. Dreissig. Interkulturelle Kommunkation im Krankenhaus. transcript. 2005

  13. Kulturelle Schwierigkeiten überwinden Es gibt leider keinen leichten Weg, aber es gibt einen praktikablen: • Um mehr über die Hintergründe des Verhaltens der Migrantin/ des Migranten zu erfahren, müssen diese befragt werden! • Dabei muss die eigene Neutralität und Authentizität erhalten bleiben.

  14. Weitere Massnahmen zur Überwindung der kulturellen Barriere • Organisatorisch Raum und Zeit schaffen • Kompetenzen bilden: Fortbildungen und kultursensible Schulungen etablieren (Ernährung, Religion etc.) • Gefühl der generellen Akzeptanz vermitteln, ohne bevormundend oder arrogant zu sein • Akzeptanz leben: konfessionsunabhängige Gebetsräume, interkulturelle Angebote schaffen

  15. Gesundheitsprobleme von MigrantInnen • … können oft nicht isoliert als somatische Störung betrachtet werden… • sondern sind als psychosoziale Symptomkomplexe und Problemlagen zu betrachten

  16. Übersicht Problemfelder • Bedeutung Geschlecht • Ausdrucksformen für Schmerz • Viel “Besuch“ • Kommunikation

  17. Bedeutung Geschlecht • Untersuchung, Behandlung und Pflege von Frauen durch Männer: Wenn möglich durch gleichgeschlechtliche Person • Im Notfall darf eine Muslimin auch durch einen Mann untersucht und behandelt werden

  18. Ausdrucksformen für Schmerz • Schmerz als: • Biologisches Phänomen (Liebesschmerz macht Zusammenziehen des Herzens) • Psychisches Phänomen (wie er subjektiv erlebt wird) • Soziokulturelles Phänomen (individuell erlebter Schmerz, Schmerzdeutung und Schmerzausdruck)

  19. Psychoanalytische Verständnis somatoformer Symptome • Die Psychiatrie versucht auch, wie andere med. Fachgebiete, die Entstehung der Symptome auf einer körperlichen Ebene zu erklären • Was stört, muss weg! Das Leiden des Pat. bleibt weitgehend unverstanden • Max Schur (öster. Arzt, Psychoanalytiker und Leibarzt S. Freuds) Modell (1955): Kleinkind kann Affekte und körperliche Empfindungen nicht trennen, erlebt ineinander verwoben. Erst im Laufe seiner Entwicklung lernt es, zw. Körperlichen u. seelischen Vorgänge zu unterscheiden: Desomatisierung • Umkehrvorgang (statt Wut, Angst werden nur noch Körperreaktionen wahrgenommen) -> Resomatisierung

  20. Daseinsanalytisches Verständnis (n. Alice Holzhey) • Resomatisierung ->Daseinasanalytisch = Delegation der seelischen Problematik an den Körper • Erwachsene Menschen haben gebrochenes Verhältnis zum eigenen Körper als das Kind (nicht nur im Körper zu sein sondern auch sich von seinem Körper zu distanzieren, wie einen „Objekt“ zu behandeln und zu benutzen • Körper wird nicht als „eigenes“ erlebt, dass sei die „pathologische“ Verhältnis zu eigenen Körper und nicht erst ihre Körpersymptome

  21. Somatisierende Patienten verhalten sich nämlich zu ihrem eigenen Körper nicht viel anderes als ein somatisch tätiger Arzt, wie er sich einem Patientenkörper gegenüber verhält • Som. Pat. verortet also seine seelische Problematik in seinem Körper, den er zugleich als ihm fremd erfährt • Was ist der Gewinn? • Sie bringt eine Entlastung: Der Leidende kann sich von seinem Leiden distanzieren und ist überzeugt das Aufgabe des Arztes ist, ihn zu helfen.

  22. „Leiden am eigenen Sein“ : Im seelischen Leiden geht es keineswegs nur um Vergangenes, das nicht bewältigt wurde, sondern immer auch um existenzielle Grundthemen und Grundkonflikte, die uns ein Leben lang beschäftigen, weil sie zum Conditio humana gehören • Radikaler Verbannung des seelischen Leidens in der Körper • Somatiker schickt den Patienten zum Psychiater (gibt dessen eigene Ohnmacht an som. Pat. zurück)

  23. Patient kommt in eine hilflose Position, da ihm andere psychische Abwehrformen fehlen • Die Gefahr in eine Depression zu fallen steigt • Die Depression hat den Charakter einer Kapitulation • Somatisierung stellt eine letzte Abwehrbastion gegen den Fall in die Depression dar.

  24. Somatisierende Pat. versuchen ein unmögliches Lebensprojekt zu realisieren • Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma, etwas für sich rausnehmen zu wollen und keineswegs schuldig werden zu wollen, ist die Delegation der Problematik an den Körper • Die Bedürftigkeit, die aus körperlicher Krankheit entsteht, ist gesellschaftlich anerkannt, weil körperliches Kranksein medizinisch als ein Ereignis aufgefasst wird, das körperliche Ursachen hat und darum jeden auch ohne eigenes Verschulden treffen kann.

  25. Transkulturelle Kompetenzen • Erkennen der eigenen Kultur und derjenigen der Fremden • Auch ich habe eine Kultur • Meine Kultur ist nicht für alle “normal“ • Vieles erscheint “komisch“ • Entwicklung einer positiven, nicht wertenden Haltung zur eigenen und zur fremden Kultur • Die kulturellen Differenzen als Bereicherung wahrnehmen • Jede Kultur hat eine innere Logik • Kulturen zu begegnen kann spannend sein • Erlernen eines konstruktiven Umganges mit kulturellen Konfliktsituationen

  26. Stellenwert der Gesundheit in der albanischen Kultur • Die Gesundheit (gesund sein) hat einen hohen Stellenwert in der alb. Kultur (man schwört sogar auf Gesundheit) • Als behandlungsbedürftig wird jeglicher pathologischer Befund einer jeden Krankheit angesehen • Der Behandlung bereits bestehender Erkrankungen wird ein höherer Stellenwert gegeben als der Prävention

  27. Körperliche Erkrankungen haben generell ein höheres Ansehen als psychiatrische Erkrankungen • Das begünstigt, dass seelische Probleme sich auf körperlicher Ebene äussern und meistens eine somatische Behandlung gesucht wird

  28. Einen hohen Stellenwert haben in erster Linie die Krankheiten des Herz-Kreislaufsystems, Atem- und Verdauungsorgane, Krankheiten des Bewegungsapparates, Krebserkrankungen, endokrinologische und neurologische Krankheiten

  29. Einen geringeren Stellenwert haben die psychiatrischen Erkrankungen (manisch-depressive Psychosen, neurotische Erkrankungen, Persönlichkeitsstörungen) • Nur Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis haben einen höheren Stellenwert und werden als behandlungsbedürftig angesehen

  30. Hilfsmittel zur Kontakt- und Vertrauensherstellung • Vertrauensverhältnis sobald als möglich herstellen • Vertrauensfördernd wirkt nur ein einziges Wort auf Muttersprache des Patienten aussprechen können • Beispiele: Guten Tag = mirë dita; wie geht es? = si jeni?; gut = mirë

  31. Konkrete Vorschläge, um Probleme zu lösen werden erwartet • Der Behandelnde sollte Notizen im Beisein des Patienten machen • Gründlich, vor allem Familienanamnese erheben, Geschwisterreihe nachfragen • Erwartungen des Patienten an uns offen ansprechen

  32. Krankheitsmodell und -verlauf sowie Behandlung sehr einfach erklären • Nach dem Prinzip „was gut ist kostet auch viel“ gehen viele Patienten auch beim Medikamentenpreise vor

  33. Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

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