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Institut für Völkerkunde, Universität zu Köln Einführungsseminar WS 2004/05 Lioba Lenhart

Institut für Völkerkunde, Universität zu Köln Einführungsseminar WS 2004/05 Lioba Lenhart. 17. und 19.01.2005 23. und 24. Sitzung: Religion und Weltbild. Peoples & Bailey, Kapitel 14: „ Religion and World View “. Themen: (1) Definition von Religion (2) Theorien zu Religion

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Institut für Völkerkunde, Universität zu Köln Einführungsseminar WS 2004/05 Lioba Lenhart

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  1. Institut für Völkerkunde, Universität zu KölnEinführungsseminar WS 2004/05Lioba Lenhart 17. und 19.01.2005 23. und 24. Sitzung: Religion und Weltbild

  2. Peoples & Bailey, Kapitel 14: „Religion and World View“ Themen: (1) Definition von Religion (2) Theorien zu Religion (3) Übernatürliche Erklärungen für Unglück (4) Formen der religiösen Organisation (5) Revitalisierungsbewegungen Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  3. (1) Definition von Religion • Religion/religiöse Vorstellungen sind Teil des Weltbilds oder der WeltanschauungvonMenschen – d.h. ihrer Konzeptionen von Realität, die ihre Interpretation von Dingen und Ereignissen einschließlich der Bestimmung des eigenen Platzes in der Welt bestimmen und auf ihr alltägliches Verhalten einwirken. • Der interkulturelle Vergleich zeigt, dass solche Konzeptionen in verschie-denen Kulturen/Gesellschaften sehr unterschiedlich aussehen. • Auch ist Religion in vielen Kulturen/Gesellschaften mit anderen kulturellen Teilbereichen (Verwandtschaft, Wirtschaft, Recht, Politik) vermischt. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  4. Definition von Religion • Religion wird mit dem Glauben an eine übernatürliche oder übermenschliche Komponente der Wirklichkeit (im Gegensatz zu der natürlichen, materiellen, sichtbaren Welt) oder – spezifischer – mit dem Glauben an übernatürliche Wesen in Zusammenhang gebracht. • Eine Minimaldefinition von Religion, auf die sich auch viele heutige Ethnolog/innen noch beziehen, stammt von Tylor (1891): „the belief in spiritual beings“. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  5. Das Problem der Definition • Verschiedene Ethnolog/innen haben darauf hingewiesen, dass die Differenzierung zwischen natürlichen, sozialen und übernatürlichen Phänomenen ein gewisses Maß an Ethnozentrismus beinhaltet. Sie beruht auf einer Weltsicht, mit der sich im allgemeinen Angehörige derwestlichen Kultur wohl fühlen. • Für die Mitgliedervieler nicht-westlicher Kulturen ist diese Unterscheidung bedeutungslos, da für sie die natürlichen, die sozialen und die übernatürlichen Phänomene in gleicher Weise real erlebte Teile ihres Alltagslebens darstellen. So werden beispielsweise Totengeister als ein realer Teil der „wirklichen Welt“ betrachtet. • Andererseits sind auch im materialistischen Denken (z.B. Marxismus) religionsähnliche Züge nachweisbar. Und auch Natur- und Geistes-wissenschaften nehmen in Bezug auf ihre Disziplinen oft eine reli-giöse Haltung ein. Zu Zwecken der Analyse macht die Differenzierung natürlicher und übernatürlicher Bereiche allerdings Sinn. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  6. Bestandteile von Religion Religionen beinhalten im allgemeinen folgende Komponenten: • Glauben an übernatürliche Wesen und Kräfte, • Mythen und Weltbilder, • Rituale und Symbole. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  7. Glaube an übernatürliche Wesen und Kräfte Übernatürliche Wesen Merkmale: • sind fähig, eine körperliche Form anzunehmen, haben Persönlichkeit und ihre Reaktionen in Bezug auf menschliche Handlungen sind in etwa absehbar; • einige dieser Wesen sind menschlichen Ursprungs – so die Seelen der Ahnen/Ahnengeister; andere sind nicht-menschlichen Ursprungs – so die meisten Götter, Naturgeister, Dämonen; • sie haben höchst unterschiedliche Eigenschaften, sind beispielsweise kapriziös oder konsistent, eigensinnig oder vernünftig, rachsüchtig oder gnädig, amoralisch oder gerecht. ! Nicht überall sind die Götter so wie „unser“ allwissender und allmächtiger Gott, der Opfer und Gebete fordert und menschliches Verhalten und Moral mitbekommt und darauf reagiert. Andernorts können Götter ausgetrickst oder manipuliert werden und ihnen ist die Moral menschlichen Handelns egal. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  8. … Glaube an übernatürliche Wesen und Kräfte Übernatürliche Kräfte Merkmale: • können Menschen und Tieren, Dingen und Plätzen innewohnen, • haben keine physische Gestalt, keinen eigenen Willen – sind impersonal, • sind nur durch ihre Wirkungen zu erkennen. Bsp.: Die in Melanesien, Mikronesien und Polynesien verbreitete Überzeugung, mana genannt: Ein schnelles Boot hat mana, aber auch ein erfolgreicher Mann und eine gute Ernte haben mana. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  9. Mythen und Weltbilder Mythen • sind erzählte oder niedergeschriebene Geschichten, die über lange Zeit zurückliegende Handlungen und Taten übernatürlicher Wesen oder Kulturheroen bzw. mit ihnen in engem Kontakt stehender Menschen berichten; • erklären die Schöpfung/Existenz des Universums, der Erde, der Lebewesen und alles Sonstigen in der Welt, • begründen wesentliche Teile der Kultur, z.B. wie die Menschen an ihre Werkzeuge kamen, wie jetzigen Lebensgewohnheiten entstanden sind usw., • rechtfertigen Moralvorstellungen, z.B. indem sie vom traurigen Schicksal der Menschen erzählen, die gegen diese verstoßen haben. • Mythen werden in formalen Situationen gelehrt, z.B. Bibellesungen in der Kirche; oder aber informell weitergegeben, erzählt oder gesungen, sowohl während religiöser Anlässe als auch im Alltag. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  10. … Mythen und Weltbilder Mythenanalyse beinhaltet: • die Analyse der Botschaften und Bedeutungsstrukturen (Inhaltliches), • die Analyse des sozialen Gebrauchs von Mythen, z. B. als Macht-instrument. Mythen beeinflussen Weltbilder und somit das menschliche Handeln. Beispiel: Umgang mit Natur in der westlichen/jüdisch-christlichen Welt im Zusammenhang mit dem Alten Testament: Gottes Aufforderung an die Menschen, sich „die Erde untertan zu machen“, prägt unser Verhältnis zu und unseren Umgang mit der natürlichen Umwelt.  Allerdings gibt es auch andere Interpretationen/Gegenentwürfe, z.B. die Amish People in Nordamerika, die den Materialismus der westlichen Gesellschaft ablehnen. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  11. Rituale und Symbole Ritual • die organisierte Durchführung von festgelegten, stets gleich bleibenden Handlungen oder Handlungssequenzen mit dem Ziel, mit übernatürlichen Mächten in Kontakt zu kommen und diese zu beeinflussen. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  12. … Rituale und Symbole Rituale haben symbolischen Gehalt: • Sie werden oft an Orten mit symbolischer Bedeutung durchgeführt (z.B. dort, wo mythologische Ereignisse stattfanden; in Kirchen usw.), • beinhalten häufig das Zur-Schau-Stellen, Berühren und Manipulieren von Objekten, die ein Ereignis symbolisieren (z.B. das Kreuz), eine heilige Person symbolisieren (z.B. Statuen von Jesus und Maria), eine Beziehung symbolisieren (z.B. Hochzeitsringe) usw. • Auch sind die verwendete Sprache und Verhaltensweisen mit symbolischer Bedeutung belegt (z.B. im christlichen Kontext: religiöse Gesänge, Gebete, Taufe, Kommunion, Beichte). Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  13. Zweck und Zeitpunkt von Ritualen Rituale werden zu unterschiedlichen Zwecken durchgeführt, z.B.: • um Gesundheit, Fruchtbarkeit, Regen, Wachstum der Feldfrüchte usw. zu bewirken, • um Seelen zu retten, Menschen in andere Lebensphasen zu geleiten usw. Auch unterscheiden sich Rituale im Hinblick auf den Zeitpunkt der Durchführung: • Kalendrische Rituale werden regelmäßig wiederkehrend – saisonal, jährlich, monatlich, täglich - durchgeführt (z.B. Sonntagsmesse, Erntedank), • Krisenrituale werden nach individuellem Bedarf oder Bedarf von Gruppen durchgeführt (z.B. Beerdigung, Heilung, aber auch vor einer Jagd). Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  14. (2) Theorien zu Religion Verschiedene theoretische Ansätze betrachten die universelle Existenz Existenz von Religion im Zusammenhang mit den Funktionen von Religion: • kognitionswissenschaftliche Ansätze  fokussieren die kognitive Funktion von Religion, • psychologische Ansätz  fokussieren die psychische Funktion von Religion, • soziologische Ansätze  fokussieren die soziale Funktion von Religion. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  15. Kognitive Funktion auch:Erklärungsfunktion Vermittels der Religionen versuchen die Menschen, das Unerklärliche zu erklären – also Phänomene wie Existenz, Krankheit, Tod (Warum-Fragen). Die kognitive Funktion wird in unterschiedlichen theoretischen Ansätzen propagiert. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  16. … kognitive Funktion • Sir James Frazer (1890, The Golden Bough) interessierte sich für die Entwicklung des menschlichen rationalen Denkens: Ihm zufolge war im Verlauf der Menschheitsgeschichte • zunächst Magie das Mittel der Menschen, die Welt zu kontrollieren, • dem folgte der Glaube an übernatürliche Wesen, d. h. Religion, • schließlich, nachdem die Mängel der vorherigen Systeme offenkundig wurden, entwickelte sich die Wissenschaft. • Hierzu lässt sich kritisch einwenden, dass die mit der Vorstellung von klar abgrenzbaren Entwicklungsstufen verbundene Erklärung von Religion als Vorstufe von Wissenschaft/Rationalität zu kurz greift: • So operierten beispielsweise so genannte „savages“ – z.B. Trobriander – nicht nur mit Magie, um z.B. ihren Gärten gute Erträge abzugewinnen; sie kannten sehr wohl Techniken der Bodenbearbeitung, setzen magische Praktiken hierzu ergänzend ein. • In vielen Fällen koexistieren Wissenschaft, Religion und Magie. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  17. … kognitive Funktion Andere Theorien: • Clifford Geertz: Für die Gläubigen verschafft Religion dem Dasein Bedeutung und hilft, nicht normale Ereignisse, die im Widerspruch mit der Weltsicht stehen können (z.B. Leid infolge von Naturkata-strophen, Kriegen, Ungerechtigkeit) einzuordnen und folglich die Welt nicht als chaotisch zu erleben. • Stewart Guthrie: Menschen tendieren dazu, die Welt anthropo-morph zu sehen, ihren Erscheinungen menschliche Motive, Ab-sichten, Gefühle etc. zuzuweisen und anzunehmen, dass ihnen von diesen nichts Schlechtes widerfahren wird, wenn sie diese Erscheinungen menschlich behandeln (Bsp.: „Mutter Erde“). Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  18. Diskussion Zurkognitiven Funktion von Religion und von Wissenschaft: ? Sind Sie der Meinung, dass in unserer Gesellschaft die Wissenschaft der Religion in dieser Hinsicht den Rang abgelaufen hat? Oder hat Religion weiterhin eine die Wissenschaft diesbezüglich ergänzende Funktion? -- oder aber inzwischen eine ganz und gar andere Funktion als die Wissenschaft?  bitte kurz darüber nachdenken und mit den unmittelbaren Banknachbar/innen diskutieren! Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  19. Psychische Funktion auch:psychische Verstärkungsfunktion Religion hilft den Menschen, mit Furcht, Angst, Unsicherheit im Falle von Krankheiten, Unfällen, Tod, Missgeschick und Unge- rechtigkeiten umzugehen, • aufgrund der Annahme, dass es für persönliches oder kollektives Leid einen höheren Grund gibt/ein Sinn dahinter steht; • sowie dadurch, dass Leid durch rituelle Mittelkontrolliert oder gelindert werden kann. • so argumentiert u.a. B. Malinowski: Religion und Magie geben den Menschen Hoffnung und Zuversicht in Situationen, in denen sie sie trotz großer Anstrengungen erfolglos bleiben. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  20. … psychische Funktion Andere theoretische Ansätze: fokussieren das Bewusstsein der Endlichkeit der eigenen Existenz und das Erleben des Todes nahe stehender Personen, was Ängste erzeugt, welche durch den Glauben an ein Leben nach dem Tod reduziert werden. Diesen Ansätzen ist eine ethnozentrische Annahme implizit: Zwar gehen die meisten Religionen von einem Leben nach dem Tod aus, jedoch längst nicht alle! Und nicht immer wird das Leben nach dem Tod als angenehm vorgestellt (siehe Beispiele im Lehrbuch, S. 278). Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  21. Diskussion Zur psychischen Funktion von Religion: ? Ist Religion für die Gläubigen immer psychisch entlastend? Oder kann Religion auch psychisch belastend sein?  bitte kurz darüber nachdenken und mit den unmittelbaren Banknachbar/innen diskutieren! Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  22. … psychische Funktion Religion ist keineswegs immer psychisch beruhigend: • Bsp.: Vorstellungen vom Leben nach dem Tod, das ganz und gar nicht paradiesisch ist (Hölle), • Bsp.: ausgeprägte/s Sündenvorstellungen/-bewusstsein. Religion ist zudem häufig der Rahmen für mystische Erfahrungen, d. h. tiefe emotionale Erlebnisse, Erleuchtungen, Ekstasen, die verbal nur unzulänglich mitzuteilen sind; in manchen Religionen ist das Herbeiführen dieser Erfahrungen zentral: • Bsp.: Sufismus, • Bsp.: Zen-Buddhismus. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  23. Soziale Funktion auch:Unterstützungsfunktion Gemeinsame Glaubensvorstellungen tragen zur Kohäsion und Solidarität einer Gesellschaft bei. Religion ist sozial nützlich, da sie gemeinsame Wertvorstellungen nahe legt und perpetuiert, Normen stützt, Kooperation fördert und so einem harmonischen sozialen Zusammenleben zuträglich ist, • direkt über moralische Vorschriften: Gut und Schlecht werden definiert und für gute und für schlechte Taten ewiger Lohn bzw. ewige Verdammnis in Aussicht gestellt; • indirekt über Rituale: Menschen kooperieren in der Ausübung von Ritualen, was ihnen Gemeinschaftserlebnis und Zusammengehörig-keitsgefühl vermittelt. So argumentiert u.a.Emile Durkheim, frz. Soziologe, frühes 20. Jh., der die Rolle von Religion zur Schaffung sozialer Solidarität betonte. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  24. Diskussion Zur sozialen Funktion von Religion: ? Ist Religion in unserer multireligiösen Gesellschaft ein Faktor, der zu Solidarität und Kohäsion beiträgt? Spielt sie keine Rolle? Oder ist das Gegenteil der Fall?  bitte kurz darüber nachdenken und mit den unmittelbaren Banknachbar/innen diskutieren! Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  25. … soziale Funktion • Nicht alle Religionen formulieren moralische Vorschriften und Strafen für „Sünder“ ! • Nicht alle Religionen harmonisieren Gesellschaften, schon gar nicht in multireligiösen Situationen (z. B. Fundamentalismen). Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  26. Kognitive, psychische und soziale Funktion Die drei Funktionen von Religion schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich. Spezifische Religionen unterscheiden sich in der Betonung der einzelnen Funktionen: • Bsp.: heutiges Christentum in unserer Gesellschaft: Hier steht zunehmend die soziale Funktion von Religion im Vordergrund. Die psychische Funktion ist hingegen im Abnehmen begriffen: zwar glauben viele Menschen nach wie vor an ein Leben nach dem Tod, aber kaum noch an jenseitige Interventionen, wie dies in Heiligenkulten angenommen wird. Die kognitive Funktion verliert ebenfalls an Bedeutung: die Erklärung des Zustands der Welt nach dem Urknall obliegt inzwischen den Wissenschaften. • Andere Beispiele: • Shintoismus in Japan: keine nennenswerte Morallehre; • Zen-Buddhismus: starke Betonung der psychischen Dimension. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  27. (3) Übernatürliche Erklärungen für Un- glück Zauberei und Hexerei Persönliches Unglück in Form von Tod, Krankheit und Unglücksfällen findet in vielen Kulturen zweierlei Arten von Erklärung: • ist eine Folge der Intervention/Strafe übernatürlicher Wesen (z. B. Geister, die Tabuverletzungen bestrafen, Ahnengeister, die Konflikte in der Verwandtschaftsgruppe ahnden); • ist eine Folge des Handelns Übel wollender Menschen mit besonderen Fähigkeiten und Kräften – also Zauberei und Hexerei. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  28. … Zauberei und Hexerei Zauberei (sorcery) und Hexerei (witchcraft): beides: Herbeiführen von Unheil mit übernatürlichen Mitteln; aber: • Zauberei (sorcery)  Durchführung von feststehenden Handlungen/Ritualen und Sprechen von Zauberformeln mit der Absicht, einer anderen Person durch übernatürliche Mittel Unheil zuzufügen. • Hexerei (witchcraft) Einsatz von geistigen Kräften mit der Absicht, einer anderen Person durch übernatürliche Mittel Unheil zuzufügen. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  29. Magie Im Falle der Zauberei ist Magie im Spiel. Magie (magic)  die direkte Manipulation von Ursache und Wirkung zwischen Dingen und Ereignissen, die dem außen stehenden, wissen- schaftlich orientierten Beobachter als zusammenhanglos erscheinen (keine naturwissenschaftliche Nachweisbarkeit);  beruht auf den übersinnlichen Fähigkeiten eines Menschen und den übersinnlichen Kräften eines Objekts, eine anvisierte Wirkung zu erreichen. Dem zufolge ist Magie von Religion, d. h. dem Glauben an übernatürliche Wesen, zu unterscheiden: Magie braucht die letzteren nicht – die Wirkung geht direkt vom Menschen aus. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  30. Religion und Magie Allerdings ist die Differenzierung zwischen Religion und Magie ideal-typisch. Realiter sind Religion und Magie verwoben: • Die mit Religion und Magie verbundene Praxis zielt darauf, eine vom Menschen erhoffte Wirkung herbeizuführen, die der Mensch unter "normalen", den Naturgesetzen gehorchenden Umständen nicht herbeiführen kann. • Als Unterschied wird die Anrufung übernatürlicher Wesen durch eine Person (religiöse Praxis) bzw. die von einer Person oder durch ein Objekt direkt erzeugte Wirkung (magische Praxis) geltend gemacht. • In der auf das Übernatürliche sich richtenden Praxis aller Glaubensgemeinschaften fließen de facto jedoch religiöse und magische Handlungen ineinander. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  31. Formen der Magie Im Falle von Magie wird etwas – z.B. ein Objekt oder eine Handlung – mit etwas anderem – z.B. einem Menschen oder ein Ereignis – identifiziert. Man unterscheidet: • imitative Magie (imitative magic), auch: nachahmende Magie, • Kontaktmagie (contagious magic), auch: Übertragungsmagie. Diese Unterscheidung geht zurück auf den im Laufe des Seminars bereits mehrfach erwähnten Sir James Frazer (1890). Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  32. Imitative/nachahmende Magie • beruht auf dem Prinzip der Ähnlichkeit oder der Vermutung, dass Gleiches wieder Gleiches hervorbringt bzw. dass eine Wirkung ihrer Ursache gleicht. • Ein Objekt wird beispielsweise analog zu einer Person gesetzt; wenn nun das Objekt manipuliert wird – so die Annahme –, überträgt sich diese Handlung auf die Person. • Bsp.: Voodoo-Puppen: Stecken von Nadeln in die Puppe, um einen Feind zu verletzen oder zu töten; • Bsp.: Azande, Sudan - kreisrunder Stein, der in Astgabeln gelegt wird, um somit den Sonnenlauf aufzuhalten und mit der Feldarbeit noch am selben Tag fertig werden zu können. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  33. Kontakt-/Übertragungsmagie • beruht auf dem Prinzip der Berührung oder der Vermutung, dass Dinge, die einmal in Kontakt miteinander gewesen sind, auch dann weiter aufeinander einzuwirken, wenn sie von einander entfernt sind und der physische Kontakt unterbrochen wurde. • Objekte, die in Kontakt mit einer Person gestanden haben oder von ihrem Körper stammende, abgetrennte Teile können – so die Annahme – dazu verwendet werden, ihr Schaden zuzufügen. • Bsp.: Manipulation mit Dingen, die zum Körper des Opfers gehörten oder mit ihm in Berührung waren (Schmuck, Haare, Fingernägel), • Bsp.: „böser Blick“ (Mittelmeerraum). Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  34. Magisches Können • Magisches Können ist in vielen Kulturen allgemein verbreitetes Können, d.h. zumindest Grundkenntnisse werden von vielen Personen erlernt; • elaborierte Praktiken werden jedoch meist nur von besonderen Personen beherrscht, die diesbezüglich irgendeine Form der Ausbildung durchlaufen. • Zauberei wird oft eingesetzt, um sich gegen Hexerei zu wehren. Dann dient sie zwar der Schädigung des Hexers, aber gleichzeitig auch dem Schutz des Opfers. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  35. Schwarze Magie und weiße Magie Magie wird zudem ihrer Absicht nach unterteilt in • schwarze Magie Zauberei: Zufügen von Leid oder Unglück; • weiße Magie  wohlwollende Magie (Bsp.: Krankenbehandlung). Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  36. Hexerei • In Bezug auf Hexer/Hexen – die im Gegensatz zu Zauberern keine Paraphernalia zur Durchführung ihrer üblen Absichten benötigen –, wird mitunter angeführt, dass ihre Kräfte angeboren sind. • So kann – wie im Falle der Azande (Sudan) – die „Hexereisubstanz“ im Körper eines Hexers ohne seinen Willen und sein Wissen wirken; diese Substanz verlässt den Körper des nachts, um das Fleisch und die inneren Organe der Opfer zu verzehren. • Weitere Beispiele: siehe Lehrbuch, S. 281. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  37. Interpretationen von Zauberei und Hexerei In Bezug auf weltweit verbreitete Überzeugungen der Existenz von Zauberei und Hexerei und darauf bezogene, weltweit verbreitete Anschuldigungen gibt es zwei Interpretationsrahmen: • Interpretationen, welche die kognitive Dimension fokussieren, • Interpretationen, welche die soziale Dimension fokussieren. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  38. Fokussierung der kognitiven Dimension Dem zufolge • erklären Hexerei und Zauberei persönliche Unglücksfälle und Missgeschicke; • halten Hexer/Hexen und Zauberer/Zauberinnen als Sündenböcke für Unerklärliches her; bieten die Möglichkeit, durch Identifikation, Beschuldigung und Bestrafung mit einer Situation persönlichen Unglücks/Missgeschicks umzugehen. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  39. … Fokussierung der kognitiven Dimension Zauberei und Hexerei werden häufig als ultimate Ursache hinter proximaten/unmittelbaren, nahe liegende Ursachen betrachtet, deren „Natürlichkeit“ nicht angezweifelt wird: • Beispiel Azande, Sudan Einstürzen der Getreidespeicher wegen Termitenfraß, der Person tötet, die sich in der Mittagshitze darunter gesetzt hat: Den Azande ist klar, dass Termiten das Holz zerfressen haben – als nicht natürlich wird das Zusammentreffen der Ereignisse betrachtet (warum der Speicher gerade in dem Moment einstürzt)  die Koinzidenz wird mit Hexerei erklärt. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  40. Fokussierung der sozialen Dimension Dem zufolge • unterstützt der Glaube an Hexerei und Zauberei Normen und Werte und damit ein harmonisches Zusammenleben, • Hexer/Hexen und Zauberer/Zauberinnen halten als Gegenbild zur normenkonformen Lebensweise her; die über sie und ihre Untaten erzählten Geschichten stützten die Normen (Antithese des kulturellen Ideals einer Person); • Die Angst, selbst wegen abweichendem oder unsozialem Verhalten als Hexer/Hexe oder Zauberer/Zauberin verdächtigt zu werden, begünstigt Konformität. • Hexereianklagen und –gerüchte bieten zudem ein Ventil für das Ausleben von Aggressionen. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  41. Psychische Entlastung Sowohl die Interpretationen, welche die kognitive Dimension fokussieren, als auch die Interpretationen, welche die soziale Dimension fokussieren, problematisieren auch die menschliche Psyche: Erklärungen für persönliches Unglück oder Missgeschick zu haben sowie einer Person dafür die Schuld geben zu können, ist psychisch entlastend. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  42. (4) Formen der religiösen Organisation Klassifikation von Religionen auf der Basis des Kult-Konzeptes von Anthony Wallace (1960er Jahre): Kult (cult) • Der Begriff bezeichnet nicht die oft kurzlebigen, durch eine Person („cult leader“) propagierten Überzeugungen im Rahmen von Sekten; • sondern: ein organisiertes System von Überzeugungen und Praktiken, die der Kontrolle oder Verehrung bestimmter übernatürlicher Mächte dienen. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  43. Kult und Religion • Ein Kult verfolgt einen bestimmten Zweck (z. B. Fruchtbarkeit, Heilung, Schutz o. ä.). • Religionen können eine Vielzahl von Kulten zu unterschiedlichen Zwecken beinhalten. • Wallace unterscheidet vier Kultformen: • individualistische Kulte, • schamanistische Kulte, • kommunale Kulte, • ekklesiastische oder kirchliche Kulte. In jeder Gesellschaft findet sich nicht nur eine, sondern finden sich immer mehrere dieser Formen ! Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  44. Individualistische Kulte Hier treten Individuen direkt mit übernatürlichen Mächten in Kontakt. • Jedes Individuum hat eine persönliche Beziehung zu einer oder zu mehreren übernatürlichen Mächten, die es beschützen; • von diesen wird dann Beistand erbeten, wenn dieser zur Erreichung persönlicher Ziele notwendig erscheint. Beispiel: Visionssuche (vision quest) der Plains-Indianer: unter Entbehrungen Suche nach einem persönlichen Schutzgeist, der eine Person im weiteren Leben begleitet. ! In keiner Gesellschaft gibt es ausschließlich individualistische Kulte. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  45. Schamanistische Kulte Hier haben einzelne Individuen – Schamanen oder Medizinmänner – besondere Beziehungen zu übernatürlichen Mächten; sie nutzendiese, • um anderen Personen, die sich in Not befinden, zu helfen (häufig: Krankenheilung); • oder, um im Auftrag ihrer Gruppe (Band oder Dorf) den Feinden der Gruppe zu schaden. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  46. Sibirischer Schamane, 19.Jh. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  47. Schamanen • sind in einigen Gesellschaften – insbesondere in Jäger-Sammler-Gesellschaften – die einzigen religiösen Experten. • sind keine Vollzeit-Spezialisten; praktizieren immer dann, wenn ihre Dienste gebraucht werden, wofür sie eine Gegenleistung in Form eines Geschenkes oder Geld erhalten; ansonsten leben sie wie andere Mitglieder ihrer Gruppe auch. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  48. … Schamanen • haben Beziehungen zu Hilfsgeistern, die sie in ihrem Tun unterstützen, zu denen sie inverändertem Bewusstseinszustand (Trance) Kontakt aufnehmen; • in diesem Zustand, in den ein Schamane durch Einnahme von Drogen, rituelle Gesänge, rhythmisches Trommeln u.ä. gerät, nehmen die Hilfsgeister von seinem Körper Besitz und sprechen durch seinen Mund. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  49. … Schamanen Schamanen erwerben ihre besonderen Fähigkeiten auf mehreren Wegen: • sie lernen bei praktizierenden Schamanen; • sie unterziehen sich Entbehrungen, z.B. langem Fasten, begeben sich in soziale Isolation oder andere schwierig zu bewältigende Situationen, • sie haben ein Berufungserlebnis, sind z.B. unerwartet von einer mysteriösen Krankheit heimgesucht worden und dann von ihr genesen, wurden von einem Geist, der in ihre Träume drang, aufgefordert, sein Sprachrohr zu werden u.ä. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

  50. Kommunale Kulte • Hier treffen sich Gemeinschaften - eine Verwandtschaftsgruppe, eine Altersgruppe, ein Dorf, eine Kaste u.v.a. - periodisch, um Rituale durchzuführen, während derer sie direkt mit übernatürlichen Mächten in Kontakt treten, um Anliegen der gesamten Gemeinschaft oder einzelner Mitglieder vorzubringen. • Ritualführer sind entweder die Ältesten der Gemeinschaft oder eine Person, die ein besonderes Interesse an den Folgen des rituellen Tuns hat (keine religiösen Vollzeit-Spezialisten!). • Zwei weit verbreitete Arten kommunaler Kulte, die Deszendenz-gruppen organisieren, sind • Ahnenkulte, • Totemismus. Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Religion und Weltbild

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