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A.A. 2006

Wortbildung: Zur Kreativitt der deutschen Sprache. Sonia Marx (1999): Lessico tedesco: dalla parola ai fraseologismi. Roma: Carocci.Cap. 3: A proposito della creativit linguistica (p. 121-154). Arten der Wortschatzerweiterung. zahlreiche Grnde fr neue Wortschpfungen: Mitteilungs-/Bezeichnungs

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Presentation Transcript


    1. A.A. 2006/2007 Corso di Lingua e Traduzione 2° anno Dott.ssa Simon tel. 080-5717480; e-mail: u.simon@lingue.uniba.it ricevimento: mercoledì, ore 12

    2. Wortbildung: Zur Kreativität der deutschen Sprache Sonia Marx (1999): Lessico tedesco: dalla parola ai fraseologismi. Roma: Carocci. Cap. 3: A proposito della creatività linguistica (p. 121-154)

    3. Arten der Wortschatzerweiterung zahlreiche Gründe für neue Wortschöpfungen: Mitteilungs-/Bezeichnungsbedürfnis, vor allem im Rahmen von Fachsprachen früher auch kulturelle Bedürfnisse: 17. Jhdt.: Sprachgesellschaften fordern Purismus/Sprachreinigung: Ersetzen lateinischer und französischer Wörtern zugunsten deutscher Termini

    4. 1885: Gründung des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins: Ersatzwörter und Verdeutschungen zunächst von französischen, später von englischen Wörtern Koexistenz von homosemen (gleichbedeutenden) Wörtern: Telefon/Fernsprecher, Slogan/Schlagwort, Passagier/Fahrgast, Annonce/Anzeige, Reklame/Werbung

    5. nach 1945: starker Einfluss des Anglo-Amerikanischen viele Lehnwörter (prestiti) und Lehnprägungen (calchi) Vgl. Schema in: Hadumod Bußmann (2002): Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart: Kröner S.194

    7. Lehnwörter (lexikalische Entlehnung): Public Relations, Marketing, Designer, Hostess, teilweise mit deutscher Entsprechung: Jet/Düsenflugzeug, Boom/Konjunktur Lehnprägungen (semantische Entlehnung): verlangen gute Fremdsprachenkenntnis Typen: Lehnformung (calchi strutturali): Unterscheidung zwischen Lehnübersetzung und Lehnübertragung

    8. Lehnübersetzung: mehr oder weniger exakte Nachahmung des Fremdwortes, Übersetzung erfolgt Glied für Glied: Gipfelkonferenz/summit conference Lehnübertragung (freie Übertragung): Wolkenkratzer/sky-scraper, Luftbrücke/airlift daneben auch hybride Formen (calchi parziali, calchi-prestiti), durch partielle Ableitung: Live-Sendung/live-broadcast, Jetflug/jetflight, oder durch Neuschöpfungen: Managerkrankheit

    9. Übung: Suchen Sie nach Beispielen für Lehnwortschatz im Italienischen und analysieren Sie, um welche Form der Entlehnung es sich handelt!

    10. Einfluss der Fachsprachen auf alltäglichen Sprachgebrauch: vor allem Informatik-Wortschatz: downloaden/herunterladen, einloggen, scannen, resetten/zurücksetzen, upgraden, formattieren, User/ Anwender/Benutzer usw. Frage: Was für Wörter benutzt man für diese Begriffe im Italienischen??

    11. Fall der Mauer (1989) und Wiedervereinigung nationale Varietäten, unterschiedliche Register und Stile „Mehrsprachigkeit“ = Norm (Wandruszka 1998) vgl. dazu auch: Horst Schlosser (2004): Die deutsche Sprache in Ost- und Westdeutschland, in: Sandro Moraldo/Marcello Soffritti (Hrsg.): Deutsch aktuell, Roma: Carocci, S. 202-215

    12. vgl. lyrische Reflexionen über die Bedeutung des Begriffs ‘deutsch’ von Erika Martens, veröffentlicht in: „Zeit“, 5. Oktober 1990 deutsch deutsch-deutsch urdeutsch altdeutsch neudeutsch treudeutsch ostdeutsch westdeutsch mitteldeutsch hochdeutsch plattdeutsch niederdeutsch bundesdeutsch gesamtdeutsch volksdeutsch großdeutsch alles deutsch?

    13. verschiedene Gründe für Wortneuschöpfungen auf der Grundlage bereits existierender Wörter: Euphemismen (Hüllwörter): z.B. während Nationalsozialismus: scheinbar neutrale Wörter, um Wirklichkeit in positiveres Licht zu rücken Ersatzwörter: Endlösung statt Judenvernichtung, RU (Rückkehr unerwünscht)/Sonderaufgabe/Betreuung statt zum Tode verurteilt

    14. nach 1945: zunächst negative Konnotation des Wortes Deutsch Ersatz des Wortes z.B. als Bezeichnung für das Schulfach in Österreich (bis 1952) durch Unterrichtssprache Euphemismen im sozioökonomischen Bereich: z.B. bei Bezeichnungen für Frauenbekleidung: Mode für Vollschlanke, frauliche Mode zur Vermeidung der Adjektive dick, fett

    15. Berufsbezeichnungen, vor allem bei Berufen mit niedrigem sozialen Prestige: Raumpflegerin statt Putzfrau, Angestellter der Müllentsorgung statt Straßenkehrer, Gastarbeiter statt Fremdarbeiter (heute: ausländischer Arbeitnehmer oder Arbeitsimmigrant!!!) Frage: Gibt es ähnliche Euphemismen im Italienischen?

    16. politische und gesellschaftliche Veränderungen: 1989/1990: Ende des Kalten Krieges, Einigung Europas (Vertrag von Maastricht) zahlreiche Komposita mit Euro-: Eurobanane, Eurocheque, Eurokrat, Europhorie, Europessimismus… Übung: Was bedeuten diese Wörter? Können Sie weitere/analoge Beispiele im Deutschen oder Italienischen finden?

    17. Wortneuschöpfungen im Bereich der Werbung, Presse oder Politik, z.B. um Aufmerksamkeit zu erregen, positive Assoziationen hervorzurufen oder auch etwas abzuwerten: anturnen, ausflippen, Ökomanager, Ökowurst, Bioküche , Gratis-Info, Instant-Nahrung, Produkt-Image……..

    18. vgl. auch im Rahmen des ital. „Tangentopoli“ (1990-1993) entstandene Komposita: Schmiergeldrepublik, Schutzgeldpolitik, Saubermänner, Betonkönig, Fernsehkönig/Fernsehzar (Berlusconi), Mafia-Connention, Cosa-Nostra-Häuptling (T.Riina), Finanzjongleur… vgl. im Kontext eines Werbeskandals entstandene Bildung: „Bäh“-netton Wortbildungen spiegeln wider, wie diese Ereignisse in Deutschland wahrgenommen wurden

    19. ?Neubildungen erweitern ständig den Wortschatz und entstehen aus zahlreichen Gründen: gesellschaftspolitischen Veränderungen neuen kulturellen Entwicklungen technologischem und wissenschaftlichem Fortschritt und damit verbundenem Bezeichnungsbedarf der Fachsprachen unterschiedlich motivierte Euphemismen

    20. Natürlich werden nicht alle Neubildungen in den Wortschatz aufgenommen, sondern nur Formen, die sich festigen, d.h. deren Verhältnis zwischen Bezeichnendem (Neubildung) und Bezeichnetem sich stabilisiert!

    21. vgl. Rechtschreibduden 1961/1967: 6.640 neue Wörter (davon 80,4% Substantive, 7,8% Verben) davon zahlreiche Anglizismen aber auch Neubildungen für geschlechter-differenzierende Bezeichnungen: Einführung weiblicher Formen: Chefin, Rechtsanwältin, Dolmetscherin…

    22. Rechtschreibduden 1986: 3000 Neueinträge im Vergleich zur vorhergehenden Ausgabe zahlreiche Substantive präfigierte Verben mit ab-, an-, auf- Adjektive mit Präfixoiden wie anti-, den Suffixoiden -arm, -frei, -feindlich (abgasarm, abgasfrei, ausländerfeindlich), zeitgemäße Neologismen wie Abgaskatalysator, Alternativenergie, Altglasbehälter, Aids, Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, Autobahnvignette…

    23. vgl. auch Neologismen und Lehnwörter im Rechtschreibduden von 1996: Cyberspace, Datenautobahn, Elektrosmog… In dieser Ausgabe wird aber weniger den Neueinträgen als den Regeln der neuen Rechtschreibung Aufmerksamkeit geschenkt! Neuregelung des von 1901-1996 geltenden, von K. Duden ausgearbeiteten Regelwerks Inkrafttreten (mit Übergangsregelung) ab 1. August 1998 in allen deutschsprachigen Ländern

    24. Wortschatz und Struktur der deutschen Sprache neben den außersprachlichen Gründen existieren auch lexiaklische und/oder morphologische Gründe für Wortneubildungen Wortbildung füllt Lücken des Flexionssystems: z.B. bei fehlenden Pluralformen: Rat/Ratschläge, Regen/Regenfälle, Schnee/Schneemassen, Unglück/Unglücksfälle

    25. Übung: Kennen Sie andere Substantive ohne Pluralform? Wie könnte der Plural von ‘Unterricht’ gebildet werden?? Vgl. fehlende Singularformen: Unkosten/Unkostenbeitrag Übung: Kennen Sie andere Substantive ohne Singularform? Wie könnte der Singular von ‘Eltern’ gebildet werden??

    26. Ergänzung von Komparativformen: reich/steinreich, tot/mausetot, müde/hundemüde, dumm/strohdumm, sicher/bombensicher Übung: Wie würden Sie diese Adjektive übersetzen? Gibt es ähnliche Wortbildungsmuster im Italienischen?

    27. Vermeidung von Polysemie: z.B. bei Wörtern wie Stoff, System, Gruppe, die zahlreiche Bedeutungen haben können nähere Bestimmung durch Komposita: Lesestoff, Kleiderstoff, Brennstoff, Romanstoff, Geschmacksstoff, Farbstoff, Sauerstoff Übung: Was bedeuten diese Wörter? Wie würden Sie sie übersetzen?

    28. besonders häufig: syntaktisch motivierte Wortbildungsformen wie Konversion Wortfamilien: erlauben Sprachökonomie vgl. Wortfamilie arbeiten: Arbeit, arbeitslos/igkeit, arbeitsam, arbeitsfrei, arbeitsscheu, arbeitsunfähig, Arbeiter/in, Schwarzarbeit/er/in, Arbeitskraft, Arbeitnehmer/in, Arbeitgeber/in, Arbeiterwohlfahrt, Arbeiterschutz, Arbeitslosenunterstützung, Arbeitsamt, Arbeitsvermittlung, Arbeit/er/schutz/gesetzgebung, ver-/er-/be-/ab-/hinauf-/über-/zu-/auf-/ weiterarbeiten

    29. Übung: Erstellen Sie ein Wortnetz zur Wortfamilie studieren:

    30. starke Tendenz des Deutschen zur Sprachökonomie: vgl. auch in Wörtern wie Impfschein (certificato di vaccinazione) für behördliche Bescheinigung, dass eine bestimmte Schutzimpfung an jemandem vorgenommen worden ist vgl. auch Akü-Sprache durch Akronyme: Bus, Rad, Uni, Demo, Info, AG(2 Bedeutungen: Aktiengesellschaft, Arbeitsgemeinschaft), EU, EG, BGB, LKW, PKW, KFZ, Azubi, Kripo, Mofa…

    31. Übung: Was bedeuten diese Akronyme? Kennen Sie weitere Formen? Sprachökonomie führt vor allem in Pressesprache zu häufigem Vorkommen von Nominalkomposita und im Allgemeinen zu sogenanntem Nominalstil dadurch u.a. Reduktion der Verbvalenz: vgl. die Inbetriebsetzung der Maschine statt die Maschine wird in Betrieb gesetzt

    32. Kotext (innerhalb des Textes) und Kontext (außerhalb des Textes) haben bei neuen, individuellen Wortschöpfungen wesentliche Bedeutung für deren Decodierung vgl. Textlinguistik: Verhältnis der Wörter im Text: anaphorisch (rückverweisend, wieder aufnehmend), kataphorisch (vorausweisend) Wiederaufnahme durch Lexeme führt zu Textkohärenz (weiter Möglichkeiten: Wiederholung, paradigmatische Variation etc.)

    33. Deutscher Wortschatz und Text: wie ein stilistischer Effekt entsteht Literatur: Suche nach höchst innovativen Ausdrücken bereits im 16. Jhdt: Komposition als verbreitetes Stilmittel Vgl. Martin Luther (1483-1546): Gottesaffe, narren-pfaffe, babst-esel, doppelchristen, dreckfresser, maulchrist entlarvende und provokative Funktion

    34. 17./18. Jhdt.: Entwicklung einer einheitlichen, innovativen und kreativen Literatursprache, die die gleichen Ausdrucksmöglichkeiten wie im Griechischen und Lateinischen bieten sollte vgl. Bemühungen des deutschen Sprachwissenschaftlers und Schriftstellers Justus Georg Schottelius (1612-1676), u.a. in: Neundte Lobrede von der Teutschen HaubtSprache

    35. Vorliebe für adjektivische Komposita aus Substantiv + Partizip sowie Adverb + Partizip vgl. Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803: Messias: wahnsinntrunken, blütenumduftet, sanftleuchtend

    36. Einfluss von Übersetzungen griechischer Werke ins Deutsche durch Johann Heinrich Voß (1751-1826): vor allem von Ilias und Odysee von Homer starker Widerstand gegen diesen Wortbildungstyp durch den Sprachforscher Johann Christoph Adelung (1732-1806), dem Autor der einflussreichsten Grammatik des 18. Jhdts

    37. „dunkle und unverständliche Zusammensetzungen“, vor allem wenn Präposition wegfällt: die donnerschwangern Wolken, die blumenbekränzte Flur, der goldbesetzte Hut, der schiffbesäte Fluß Übung: Welche Präposition wird in diesen Komposita ausgelassen?

    38. Neigung zu synthetischen Formen, die heute oft als Kennzeichen des Gegenwartsdeutschen zitiert wird, geht u.a. auf die Übersetzungen vor über zwei Jhdten. zurück Vgl. auch Goethes Faust: zahlreiche Komposita: Glitzertand[1], Lächelmund, Wallestrom, Wimmelschar, Flatterhaar: dynamische Beziehung der beiden Teile des Komposita, da der erste die Bewegung des zweiten beschreibt [1] Tand, der; -[e]s [mhd. tantÿ= leeres Geschwätz, Possen …] (veraltend): wertloses Zeug: billiger T.

    39. 19. Jhdt.: neue stilistische Orientierung durch die kühne Bildung bestimmter Nominalkomposita „Spiegelstil“ mit ironischer Funktion: zahlreiche individuelle Neubildungen Vgl. Nietzsche: Veränderung bekannter Wörter im Dienste der Satire oder des Paradoxen: Tugendbock statt Sündenbock, Nächstenhaß statt Nächstenliebe, Vielsamkeit statt Einsamkeit Übung: Was bedeuten wohl diese Neubildungen? Können Sie sie in Analogie zu ihrem Ausgangswort erklären?

    40. vgl. auch Wechsel und Veränderung des Wortklangs bzw. Spiel mit dem Wortklang: Speichelleckerei – Schmeichelbäckerei, Narrenzierrat – Narren-Schmierrat, Wirr- und Irrlehren spätes 19. Jhdt.: Einfluss der Franzosen und Symbolisten: art pour l’art vgl. Detlev von Liliencron: semantische Dichte der Komposita führt an die Grenzen der Verständlichkeit: sonnengrün, sonnenweiß, sonnenstill, herbstkräftig, sommerglanzumwoben

    41. Lyrik zwischen dem 19. und 20. Jhdt.: Bildung neuer Verben Impressionisten und Expressionisten verbindet sprachliche Experimentier-freude Suche nach Außergewöhnlichem, Benutzung ungewöhnlicher Formen (Denominativverben und –adjektive), die bewusst die Norm brechen: zipfeln, tigern (Liliencron), blechern, unruhigen, anfrühen (Rilke), angrellen, gasen, aschend (Döblin), blinden, nachten (Trakl)

    42. vgl. auch die hohe Frequenz von Denominativverben in der Lyrik des österreichischen Schriftstellers Erich Fried: „Denn wir wollen uns/ nicht nur herzen/ sondern auch munden/ und hauten und haaren/ und armen und brüsten und bauchen / und geschlechten/ und wieder handen und fußen“ Übung: Von welchen Nomen wurden diese Verben abgeleitet? Was bedeuten sie wohl?

    43. sprachliche Manipulation : vgl. Humboldt: Sprache als kreative Handlung des Geistes dieser Ansatz geht zurück auf Herder, der die Sprache nicht nur als Kommunikationsmittel sondern auch als Teil des Gedanken selbst beschreibt

    44. Vgl. Coseriu (1971): dichterische Sprache als Sprache schlechthin, als Verwirklichung aller sprachlicher Möglichkeiten, Entfaltung der funktionellen Vollkommenheit der Sprache …da sie es sich erlauben kann, voll aus dem System zu schöpfen und die Norm zu verletzen?! daraus schließt Renzi (1991): Wer sich eine Sprache aneignet, lernt kreativ zu interagieren!

    45. vgl. Coserius Unterscheidung: System = Gesamtheit aller abstrakter Möglichkeiten einer Sprache Norm = Gesamtheit aller traditionellen sprachlichen Realisierungen, die für eine Sprachgemeinschaft (oder einen Teil) in einer bestimmten Epoche charakteristisch sind die konkrete Rede eines Individuums vgl. De Saussures Unterscheidung von langue, langage und parole!

    46. Verhältnis von Abhängigkeit und Freiheit vgl. Nietzsches Auseinandersetzung mit Norm (verstanden als Geschmack einer Epoche), künstlerischer Konvention und Stil Metapher In Ketten tanzen in Menschliches Allzumenschliches beschreibt die Bewegung der Dichter innerhalb dieses Spannungsverhältnisses von Freiheit und Abhängigkeit

    47. Nutzen aller Möglichkeiten, die das System bietet Verstöße gegen die Norm drücken die Freiheit des Individuums aus, sich entgegen die Entwürfe gesellschaftlicher und kultureller Norm zu verhalten ?distinktive Merkmale der Literatursprache entstehen durch Spannungsfeld zwischen System und Norm

    48. Vergleich von Renzi mit einem Kaleidoskop: Dichtung als normiertes Spiel, als Illusion, die Regeln unterworfen ist ein Stileffekt entsteht z.B. durch die Aneinanderreihung von Komposita, die für die Alltagssprache unüblich sind: die Freßmäuler, die Brüllmäuler, die Gesangmäuler, die Staunmäuler (Broch)

    49. …oder durch die Vorliebe für einen bestimmten Wortbildungstyp und die Art seines Einsatzes: z.B. Ad-hoc-Bildungen vom Typ „ein Teil - das Ganze“: Napfschnecken, Pfeilschnecken, Schließmundschnecken (Grass: Tagebuch einer Schnecke) …bzw. dem entgegen gesetzten Typ: „das Ganze - ein Teil“: Leibkutscherseele (Strittmatter), Hanna-Mädchen-Gesicht (Frisch)

    50. …durch Substantivierung von Wortgruppen: das Staubschlucken, Säckeschleppen, Flascheneinfüllen etc. (Bernhard) …durch adjektivale Wortbildung und anschließende Substantivierung: das Regenschwere, Flockenleichte, Schattenscheckige, Sonngebleichte, Mondgewobne und Sternbestickte etc. (Busta)

    51. Distinktives Merkmal entsteht z.B. durch die Nutzung der Bedeutung der Grundform, z.B. der Substantive auf –nis, die meistens von Aktionsverben abgeleitet werden, im Zusammenspiel mit oder Gegensatz zu solchen, die einen Zustand beschreiben: Das ist das Verhängnis./ Zwischen Empfängnis/ und Leichenbegängnis/ nichts als Bedrängnis (Kästner)

    52. …oder durch Wiederbelebung „toter“, nicht mehr üblicher Bildungsmuster: Namen und Widernamen (Bernhard) …oder durch die Bildung von Wortfamilien (und damit verbundenen Assoziationen) auf der Basis einfacher Wörter: Kreuz – Griechisches Kreuz, Passionskreuz, Hakenkreuz, Rotes Kreuz. Kreuzung, Kreuzverhör, Kreuzworträtsel, kreuzundquer etc. (Grass)

    53. vgl. Spiel mit Bedeutungsvielfalt, konkreter und übertragener Bedeutung sowie Phraseologismen bei Enzensberger im Gedicht Zusammenfassung, rund um das Verb „fassen“:

    54. Ich fasse zu, an, auf/ die Gelegenheit fasse ich/ in Worte, ins Auge, in Verse, beim Schopf,/ ich befasse mich, in der Auffassung,/ dass ich gefasst bin, auf alles gefasst.// Aber das ist nicht alles.// Es ist nur die Rohfassung./ Ich bewahre sie, fasse mich,/ fasse mich kurz, in Geduld,/ fasse Hass, Fuß, Zutrauen,/ Essen, Mut, einen Vorsatz,/ eine Brille, einen Entschluss./ Wie die Glühbirne ringe ich/ nach Fassung, kann mich vor Freude,/ vor Überraschung kaum fassen.// Aber das ist nicht alles.// Manches entgeht mir, es schlüpft durch, es entzieht sich,/ ist weg. Schon bin ich aus der Fassung/ gebracht, kann mir kein Herz mehr,/ keinen klaren Gedanken, lasse,/ was nicht zu fassen ist, fallen,/ falle, lasse mich fallen, alles,/ was der Fall ist, lasse ich,/ ein Fass ohne Boden, auf sich beruhn.

    55. Übung: Analysieren und erklären Sie die verschiedenen Formen der Wortfamilie “fassen”, die in diesem Gedicht auftauchen!

    56. Ein Stileffekt entsteht auch durch den gewollten Verstoß gegen die Wortbildungsregeln: z.B. durch eigenständigen Gebrauch/Isolation eigentlich gebundener Morpheme: Mein Liebling – mein Feigling – mein Ling! (Musil) …oder durch Ergänzung mit einem Affix bei dafür ungeeigneten Wörtern: jemand – jemandin (Busch) sowie eine ungewöhnlich Verbindung bestimmter Suffixe: Jünglingin, Fremdlingin (Trakl)

    57. …oder durch Segmentierung einzelner Wörter, deren Wiederaufnahme und Variation: Grusi- und Musicals, Um-, Ein-, Ablenkungsmanöver (Böll) Vgl. hierzu auch den unüblichen Gebrauch des Präfixes zer- bei Verben, die eigentlich das Präfix ??? verlangen (mit polemischer Funktion bei Fried eingesetzt): Frage: Welches Präfix wurde ersetzt?

    58. Die Erkenntnis läßt sich nicht länger zerzögern:/ Was wir einmal zu tun zersäumten/ das ist dann zersäumt und zertan/ Zergeblich zersuchen wir die Zergangenheit zu zerändern/ Die Menschen von damals bleiben zerraten zerkauft und zerloren/ schon bevor die Papiere zergilben/ in denen ihr Schicksal zerzeichnet ist//Denn es ist ein Zerhängnis/wie Menschen miteinander zerkehren/ in ihren zerschiedenen/ oder eng zerknüpften Bereichen/ Es ist schon fast einerlei/ ob sie einander zerbissen zerurteilen/ oder zerhältnismäßig freundlich einander zerzeihen wollen.

    59. vgl. auch Schillers Wallenstein: römisches Reich – römisch Arm, Rheinstrom – Peinstrom, Klöster – Nester, Bistümer – Wüsttümer… Ableitungen aus Eigennamen: jemand barzelt, benimmt sich barzelhaft, gehört zur Barzelei (Grass) Übung: Können Sie ähnliche Formen bilden?

    60. Substantivierung ganzer Phrasen: Man-weiß-nicht-was (Musil), in-die-Fresse-Hauen, Bis-ins-letzte-Lebensdetail-Gehen (Böll) Nominalkomposita, die durch ihre Länge bewusst deformierend wirken, und manchmal ganze Phrasen oder Sätze umfassen: Familienvatersorgenfalten, Hausputzbackwaschundbügelsonnabend (Grass) Übung: Was bedeuten diese Komposita? Bilden Sie aus den Wörtern Sätze!

    61. unübliche Zusammenstellung einzelner Wörter in Komposita: Speckphilister (Busch) Inversion von Grundwort und Bestimmungswort: Wachschläfer – Schlafwächter (Busta) Ersatz des Bestimmungswortes bei Morgenstern: Sturmspiel (statt Windspiel), Zahmschwein (statt Wildschwein) Übung: Versuchen Sie Ihnen bekannte Komposita umzukehren und erklären Sie den Bedeutungsunterschied!

    62. Busch: Jede Sprache ist eine Bildersprache Spiel mit Assoziationen und Bedeutungen der Bestandteile von Komposita durch deren Zerlegung vgl. Fried: Mit deinen Problemen/ heißt es/ bist du/ eine Nervensäge// ich liebe die Spitze/ und Schneide / von jedem Zahn/ dieser Säge/ und ihr blankes Sägeblatt/ und auch ihren runden Griff

    63. vgl. Althaus: Dr. Enzian/ füttert Lachtauben/ mit Weintrauben/ in dem Glauben/ oder vielmehr Wahn,/ dass durch die Diät/ mit Weintrauben/ den Lachtauben/ das Lachen vergeht./ Falls die Versuche gelingen,/ will er probieren,/ mit Kichererbsen den Tieren/ das Lachen wieder beizubringen./ Was er sich von dem Ganzen verspricht,/ verrät er Laien nicht.

    64. Referenz auf bekannte Textstellen und Ersetzen einzelner Bestandteile (intertextuell): vgl. Goethes Ein Gleiches (Wandrers Nachtlied): …Warte nur, balde/ Ruhest auch du. vgl. bei Ringelnatz: …Drüben am Walde/ Kängt ein Guruh-/ Warte nur balde/ Kängurst auch du vgl. bei Grass (Blechtrommel): …Warte nur balde, trommelst auch du.

    65. ? intratextuell: z.B. bei Schnitzler (Leutnant Gustl): Meiner Seel’, mir ist geradeso, als wenn ich einen Rausch hätt’! Haha! ein schöner Rauch! ein Mordsrausch! ein Selbstmordsrausch! vgl. auch bei Böll (Die verlorene Ehre der Katharina Blum): Schlüsselwort Herrenbesuche wird 33 Mal variierend wieder aufgenommen, um zweideutigen Charakter des Wortes zu suggerieren: Herrenbesuchszeit, Herrenbesuchsgeschichte, Herrenbesuchstheorie….

    66. Originalität/Wirkung von neuen Wortschöpfungen verliert sich natürlich durch deren wiederholten Gebrauch: Verlust des distinktiven Merkmals Originalitätswut: Suche nach Stilelementen ?Nutzen der unendlichen Kombinationsmöglichkeiten und des Ausdruckspotenzials der Wortbildung!!

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