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Antiziganismus © Apl. Prof. Dr. Benjamin Ortmeyer Goethe-Universität FFM
Definition „Antiziganismus“ • Der Begriff „Antiziganismus“ wurde in Analogie zu „Antisemitismus“ gebildet und ist ein Fachbegriff für „Zigeunerfeindlichkeit“. Er bezeichnet die von Stereotypen, Abneigung und/oder Feindschaft geprägten Einstellungskomplexe gegen als „fremd“ und als „Zigeuner“ wahrgenommene Menschen und Gruppen. • Er umfasst auch die Handlungen, also Formen gesellschaftlicher und staatlicher Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung bis hin zu Vertreibung, Pogromen, Internierung, Zwangssterilisierung und dem in der NS-Zeit staatlich organisierten Völkermord (Porajmos).
Fokus • Dass Sinti und Roma seit Jahrhunderten diskriminiert und verfolgt wurden, wird anhand der Aussagen Martin Luthers deutlich. In seiner antijudaistischen Schmähschrift gegen die Juden forderte er, dass man die Juden behandeln solle „wie die Zigeuner“. (Martin Luther: Von den Juden und ihren Lügen, 1543) Was man mit ihnen macht, wie es ihnen ergehen soll – das wird bei Luther als selbstverständlich vorausgesetzt.
Luther gegen Juden und „Zigeuner“ • Es heißt bei Luther gegen die Juden: „dass man ihre Synagoga oder Schule mit Feuer anstecke ... Dass man auch ihre Häuser und dergleichen zerbrechen ... Dafür mag man sie unter ein Dach oder Stall tun, wie die Zigeuner.“ („Von den Juden und ihren Lügen“, 1543, Martin Luther WA 53, S. 523 ff.)
Das „Bild“ vom „Zigeuner“ • Vor der NS-Zeit hatte das „Zigeunerbild“ einen festen Platz in Märchen, Romanen und Kunst • Elemente einer scheinbar positiven, aber eben auch mit Vorurteilen behafteten romantischen Verklärung des „Zigeunerlebens“ • Rassismus: „die rassische Zigeunerin“, wild und ungezähmt • Zauberkräfte, „verhext“, „böser Blick“ usw. • KERNPUNKT: „Zieh-Gauner“ und Spione
Antiziganismus im Alltag • Allbekannte Alltagssprüche wie selbstverständlich gegen die „Zigeuner“, die hier nicht wiederholt werden sollen • Anders als in der Geschichte des Judenhasses gab es so gut wie keine dokumentierte Verteidigung der Rechte der Zigeuner vor der NS-Zeit, in der NS-Zeit und danach • In den NS-Ideologie und NS-Propaganda spielte daher auch der Antiziganismus anders als der Antisemitismus keine zentrale Rolle – er war sozusagen wie selbstverständlich schon in der Mehrheits-Bevölkerung verankert
Antiziganismus heute • Kernpunkt ist die negative Berichterstattung vor allem in der lokalen Presse • Grundklischee wird festgemacht an einigen aus Osteuropa als Flüchtlinge hier lebenden Familien „aus Rumänien“ • Zentrale Klischees sind virulent, angeblich „stehlen“ und „betteln“ alle. • Pädagogische Grundaufgabe über humanitäre Grundpositionen hinaus: Wissen über deutsche Sinti und Roma als deutsche Staatsbürger, Wissen über die Lage der aus Osteuropa fliehenden Roma
Nach 1945... (Rose 1987: S. 35)
Im Jahr 2011 • Drohende Abschiebung von Roma in den Kosovo / nach Albanien • Grundproblem • Historisches Problem
Literatur End, Markus/ Herold, Kathrin/ Robel, Yvonne (Hrsg.): Antiziganistische Zustände. Zur Kritik eines allgegenwärtigen Ressentiments, Münster 2009. Engbring-Romang, Udo: Antiziganismus als Phänomen der bürgerlichen Gesellschaft. In: MATERIALDIENST Nr. 6, Dezember 2001. Heuß, Herbert: Aufklärung oder Mangel an Aufklärung? Über den Umgang mit den Bildern vom "Zigeuner". In: Aufklärung und Antiziganismus. Neiträge zur Antiziganismusforschung Bd. 1. Seeheim 2003, S. 11-33. Krausnick, Michail/ Strauß, Daniel: Von Antiziganismus bis Zigeunermärchen. Handbuch Sinti und Roma von A - Z, Norderstedt 2008. Ortmeyer, Christoph/ Peters, Elke/ Strauß, Daniel: Antiziganismus: Geschichte und Gegenwart deutscher Sinti und Roma. Wiesbaden 1998. Rose, Romani: "Den Rauch hatten wir täglich vor Augen…". Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma, Heidelberg 1999. Rose, Romani: Bürgerrechte für Sinti und Roma. Das Buch zum Rassismus in Deutschland, Heidelberg 1987. Wippermann, Wolfgang: „Wie die Zigeuner“. Antisemitismus und Antiziganismus im Vergleich. Berlin 1997.