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Ringvorlesung: „Der Staat müsste doch …“

Ringvorlesung: „Der Staat müsste doch …“. Auftaktvorlesung: „Das riskante Wunder des Staates“. Ist es nicht so, dass ….

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Ringvorlesung: „Der Staat müsste doch …“

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Presentation Transcript


  1. Ringvorlesung: „Der Staat müsste doch …“ Auftaktvorlesung:„Das riskante Wunder des Staates“ TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  2. Ist es nicht so, dass … • … der Staat an sich ein Übel ist – und unser Ziel also in der Verwandlung der ‚Herrschaft über Menschen‘ in die ‚Verwaltung von Sachen‘ bestehen muss, so dass der Staat eines Tages ‚abstirbt‘? • … jeder Staat auf Macht gründet, Macht aber immer korrumpiert – so dass ein Staat allenfalls notwendig, aber nie gut sein kann? • … es Völkern und Ländern ohne funktionierenden Staat wie Somalia und Afghanistan viel schlechter ergeht als Ländern mit einem zwar unterdrückerischen, doch immerhin funktionierenden Staat – wie, im Vergleich mit ihnen, den Spaniern unter Franco und den Deutschen unter Honecker? • … Staaten, die sowohl funktionieren als auch nicht-diktatorisch sind, in Geschichte und Gegenwart eher selten sind und von ihren Bürgern meist sogar geschätzt werden? • Wie passen die ersten zwei Aussagen zu den letzen beiden? • Was und wie ist der Staat also ‚wirklich‘? = Thema dieser Vorlesung

  3. Was ist ein ‚Staat‘? • verlässlich funktionierendes Gefüge von Institutionen, welches die Herstellung und Durchsetzungallgemein verbindlicher Regeln und Entscheidungen (≈ ‚Staatsgewalt‘) übernimmt, und zwar … • auf einem mehr oder minder klar umrissenen Gebiet (≈ ‚Staatsgebiet‘) • über einen mehr oder minder klar umrissenen Personenkreis, dessen Zusammenleben durch jene Staatsgewalt geregelt wird (≈ ‚Staatsvolk‘) • verlässliches Funktionieren der Staatsgewalt wird in der Regel bewerkstelligt durch … • informale und formale Rechtsnormen • Legitimitätsglauben bei einem großen Teil des Staatsvolkes • Unterscheidung zwischen akzeptierter Staatsgewalt und womöglich nicht akzeptierten derzeitigen Inhabern der Staatsgewalt (‚Erfindung von Opposition‘) • ‚Produkt‘ dieses Institutionengefüges: ‚politische Güter‘ / ‚öffentliche Güter‘ – beginnend mit denen, derentwillen man Staaten schafft, und aufsteigend bis zu jenen, die einen Staat an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit bringen: • Sicherheit nach außen und im Inneren; Rechtssicherheit und Machtkontrolle (‚Rechtsstaatlichkeit); • persönliche Freiheit und praktizierter Pluralismus; • gute sowie nachhaltige Gesundheits-, Bildungs-, Infrastruktur-, Finanz- und Wirtschaftssysteme; • soziale Gerechtigkeit, Demokratie • Alternativen zum Staat im wesentlichen: persönliche Herrschaft, Protektorat, Reich

  4. Bandbreite staatsprägender Spielregeln Freiheitliche Staaten • Herrschaft • ‚Obrigkeit‘ oder ‚treuhänderische Geschäftsführung‘? • Rechte der Regierten (‚Menschenrechte‘) • ‚vom Staat gewährt‘ oder ‚von Natur aus besessen‘? • Recht • eher ‚Werkzeug‘ oder ‚Schranke‘ von Politik? • Machtausübung der Regierenden • erleichtern oder erschweren? • politische Teilhabewünsche der Bürger • in Schranken weisen oder fördern? • politische Konkurrenten • ausschalten oder ihre Chancen sichern? Wahlmöglichkeiten; freilich in begrenz-tem Umfang! Diktaturen

  5. einige unabweisbare und folgenreiche Herausforderungen für den Staat • geopolitische und zeitgenössische Rahmenbedingungen • (Hypo-) These: ‚Geographie ist unser Schicksal‘ (unwegsames oder leicht durchquerbares Gelände, Ackerbauflächen und Bodenschätze , Lage zwischen Großmächten, Zugang zur See, klimatische Folgen der Lage …) • Erfahrung: ‚Es kann der Friedfertigste nicht in Frieden leben, wenn …‘ • die Wirtschaft und ihre Eigenlogik • ‚Überbau‘ als Fessel der Produktivkräfte • Staat und Markt • die individuellen Kosten/Nutzen-Kalküle der regierten Akteure • ungeplante Folgen geplanten Staatshandelns (z.B. ‚Sozialstaat als Droge‘) • das religiöse Verlangen von Menschen und dessen organisatorischer Ausdruck • wie gut passen welche religiösen Überzeugungen zu welchen staatlichen Legitimationsideen? • wie gut passt welche Institutionalisierung von Religion zu welcher Form von Staatlichkeit? Wahrscheinlich muss vieles ‚gut zusammenpassen‘, wenn ein sowohl leistungs-kräftiger als auch bestandsfähiger Staat entstehen und weiterbestehen soll!

  6. Historische Tatsachen I • ‚Staatlichkeit‘ – und gar erst der moderne Staat! – ist eine Ausnahmeform politischer Ordnung – mit großen Vorzügen und etlichen Kosten • Beispiele: Ägypten, Hethitisches Reich, mesopotamische Reiche, Persien, griechische Poleis, Karthago, Rom/Byzanz; europäische ‚Staaten‘ seit dem Frankenreich, Russland; China, Japan; mittelamerikanische Staaten (Maya, Azteken), Inka; Äthiopien, Timbuktu, Benin …; arabische Reiche, osmanisches Reich … • viel häufiger: ausgedehnte herrschaftslose Räume mit instabilen und oft eher clanartigen als fest institutionalisierten machtausübenden Gruppen • Beispiele: große Teile des Mittelmeerraums bis zur phönizischen und später griechischen Kolonisation; Nordeuropa bis zum (Früh-) Mittelalter, Sibirien bis zum russischen Imperialismus; große Teile von Afrika, Amerika und Australien bis zum Kolonialismus/Imperialismus • nicht selten auch: ‚Übergangszustände‘ zwischen ‚autonomen Stammesstrukturen‘ und ‚loser Oberherrschaft einer Hegemonialgewalt‘ • Beispiele: Peripherie der antiken Großreiche, große Teile West- und Mitteleuropas zwischen Völkerwanderung und Frühmittelalter, große Teile Afrikas in den ersten gut zwei Jahrhunderten des Kolonialismus • Ferner gilt: Die meisten Staaten, die es je gab, waren autoritäre Diktaturen, denn …  Info

  7. Vorzüge von Staatlichkeit • Bannung der Gefahr des Bürgerkriegs, Chancen friedlicher Entwicklung im Inneren. • Effektivierung der Steuerungs- und Gestaltungsmöglichkeiten des Staates: • wirksame Fiskalsysteme • rationale Verwaltungsstrukturen • nachhaltige Infrastruktur • Erzeugung eines – ggf. nach Gerechtigkeitsgesichtspunkten staatlich umzuverteilenden – ‚Mehrprodukts‘. • Klare institutionelle Ansatzpunkte für die Bändigung und Begrenzung von Staatsmacht.

  8. ‚Kosten‘ von Staatlichkeit • politische Kosten: Durchsetzung eines staatlichen Waffen- und Bewaffnetenmonopols, Notwendigkeit der Unterdrückung von Aufständen, Misslingen des erwarteten ‚guten Regierens‘ mit erheblichen Folgelasten für die Legitimitätslage • soziale Kosten: schwer durchzusetzender oder durchzuhaltender Verzicht auf Sozialstrukturen und Kulturmuster, die sich schlecht mit einem hierarchischen Institutionengefüge vertragen (z.B. stets Nomadentum, oft auch auf Eigenleben bedachte ethnische Vielfalt) • wirtschaftliche Kosten: teuer sind Armeen und Verwaltungen (‚harter Kern‘ von Staatlichkeit), desgleichen jene sozialstaatlichen Leistungsstrukturen, nach deren Umfang heute oft die Legitimität von Staatsgewalt bemessen wird. • das heißt: Staatlichkeit ‚funktioniert‘ ohnehin erst ab einem Mindestmaß an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit! • Transaktionskosten sowohl von Verfassungsstaatlichkeit als auch von (funktionierender) Diktatur

  9. Warum sind autoritäre Diktaturen so häufig? • wenig anspruchsvolle und darum oft gegebene Voraussetzungen, weil Beschränkung auf Sicherung von Machtstrukturen • von Regierten oft begrüßt als Überwindung nationaler Machtlosigkeit (‚Modernisierungsdiktatur‘), bürgerkriegsartiger Zustände oder von totalitärer Herrschaft • wenig Verlangen nach Alternativen in traditionellen Herrschaftssystemen • gut stabilisierbar durch ‚Zuckerbrot und Peitsche‘

  10. Historische Tatsachen II • ‚Moderne Staatlichkeit‘ entstand in Europa seit den Religions- und Bürgerkriegen des 16./17. Jahrhunderts (‚westfälisches Staatensystem‘) aus mindestens drei Ursachen. • Kulturelle Voraussetzungen u.a.: sehr konkretes Nachwirken von römischer Reichsidee und römischem Recht, Institutionenmodell und Regierungspraxis der römischen Kirche, Verbindung von stabilem Ständewesen mit stabiler Zentralgewalt. • Mit der außergewöhnlichen technischen Entwicklung Europas und dem so möglich gewordenen Kolonialismus / Imperialismus werden die Leitideen und institutionellen Formen europäischer Staatlichkeit über einen Großteil der Erde verbreitet. • Achtung: zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren außer v.a. China, Japan, Thailand und Äthiopien nur sehr wenige Gebiete der Erde nicht unter die (indirekte) Regierungsgewalt europäischer Staaten geraten! • In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schaffen Entkolonisierung und kommunistische Revolutionen in den allermeisten Ländern der Erde politische Strukturen, die der europäischen Staatlichkeit nachgebildet sind. Wichtiger Stabilisierungsfaktor: weltweit prägender Ost/West-Konflikt samt ‚Kaltem Krieg‘. • In genau dieser Zeit wird das System der modernen internationalen Beziehungen immer komplexer, dessen Rechtsgrundlagen auf der Annahme beruhen, alle bewohnten Gebiete der Erde gehörten zu für sie verantwortlichen souveränen Staaten. • Seit dem Ende des Ost/West-Konflikts sowie dem Einsetzen von Globalisierung beobachten wir den Wegfall von dessen Stabilisierungsleistung sowie Prozesse, in denen Staatlichkeit zusammenbricht (etwa: Somalia), mühsam von außen stabilisiert wird (z.B. multinationale Protektorate wie auf dem Balkan) oder sich nach Zerstörung von außen kaum mehr wieder errichten lässt (z.B. Afghanistan, Irak).

  11. Ursachen für Entstehung des modernen Staates • Realpolitische Erklärung: • Im Grunde ein nicht-beabsichtigter, evolutionärer Prozess, bei dem die Gewährleistung von (minimaler) Sicherheit durch politische Eliten mit (wachsender) Bereitschaft der Gesellschaft einherging, dafür die Ressourcen aufzubringen – was sich im Lauf der Zeit immer mehr verfeinerte und das Institutionensystem des modernen Staates hervorbrachte. • Liberale Erklärung: • Ein auf wechselseitige Einsicht gegründeter ‚kontraktualistischer‘ Prozess, bei dem politische Eliten und Bürgerschaft übereinkamen, dass die erstgenannten solange Privilegien haben dürften, wie sie sich als Treuhänder der Bürgerschaft verstünden und für sie Sicherheit und Wohlfahrt gewährleisteten. • Politisch-ökonomische Erklärung: • Moderner Staat entsteht als effizienter Mechanismus, der Märkte möglich macht und Eigentumsrechte sichert und dergestalt jenes Mehrprodukt zu realisieren erlaubt, das die Finanzierung differenzierter staatlicher Institutionen und deren Legitimation über – auch nur ansatzweise – ‚Sozialstaatlichkeit‘ erlaubt.

  12. Besonderes Problem: ‚Nation & Staat‘ • Besonderheit der voll entfalteten europäischen Staatlichkeit des 19. Jahrhunderts: Verbindung von Nation (= Sprössling von ‚Rousseau & Romantik‘) und Staat (= Sprössling des Absolutismus) zum ‚Nationalstaat‘ sowie, in seinem Rahmen, mit Demokratie • Ist schwierig bzw. scheitert sogar schon in Europa: • ‚mild‘ in Deutschland: Was tun mit der Donaumonarchie? • ‚scharf‘ in Mittel- und Osteuropa nach Erstem Weltkrieg • Problematisch erst recht in Weltgegenden, in welchen das ganze Konzept der ‚Nation‘ keine Wurzeln hat und keinen handlungsleitenden Sinn besitzt, v.a. : in Afrika Dort Anschlussfragen: • Kann dort das europäische Nationalstaatsmodell überhaupt sinnvoll sein – oder ist es an sich schon ein Sprengsatz für ‚Staatlichkeit‘? • Welche Form von ‚Nationalismus‘ entsteht, wo der staatliche Rahmen eine ‚Nation‘ voraussetzt, die Bedingungen für das Entstehen von (Staats-) Nationen ‚europäischer‘ Art aber nicht gegeben sind? Und wie fatal ist genau dies dann für einen formal bestehenden ‚National‘-Staat? • Welche institutionellen Formen politischer Repräsentation könnte es für die Vielfalt von ‚nicht-europäischen Nationen‘ geben, die nun einmal bestehen und von einem stabilen, legitimen politischen System vielfachen Nutzen ziehen könnten?

  13. Einige Einsichten • Staatlichkeit entsteht aus dem Zusammentreffen sehr spezieller und keineswegs allenthalben verfügbarer Vorbedingungen. • Das heißt: Dass überhaupt – und gar ein freiheitlicher-demokratischer! – Staat entsteht, ist eine Art ‚Wunder‘! • Staatlichkeit ist darum keine universell verallgemeinerbare politische Ordnungsform, sondern hat jetzt schon Alternativen, z.B: Reiche • Problem: Wir kennen bislang nur deren traditionelle Formen und wissen nicht, ob diese auch künftig akzeptabel sind (etwa wegen der Verfügbarkeit von ABC-Waffen und optimalen Bedingungen für international agierenden Terrorismus) • ‚Scheitern von Staaten‘ ist darum vielfach keineAbweichung von einem Normalfall, sondern das Ende einer geschichtlichen Ausnahmesituation. • Stimmt das, so … • sind bereits die normativen Grundlagen unserer internationalen Ordnung brüchig • kehren als ‚geschichtlich überwunden‘ geglaubte Formen zwischenstaatlicher Politik wieder als aktuelle Herausforderungen zurück: • Bildung einesteils von Protektoraten, andernteils von Reichen • langfristige Zusammenarbeit von freiheitlichen Staaten mit Diktaturen ohne Versuche, dort auf Systemwechsel hinzuwirken • Versuche einer Abschottung gegen die nicht beseitigbaren ‚Slums der Weltpolitik‘ • muss auch unsere eigene Art der Staatlichkeit als ‚riskant‘ und steter ‚hegender Sorge‘ bedürftig gelten!

  14. Reich • Begriffshintergrund • germanisches Wort ‚Reich‘: von ‚reichen‘ im Sinn einer Ausdehnung von etwas, hier: des Reichens von Regeln, Zuständen, Verhältnissen • romanisches Wort ‚empire‘ (engl. u. franz.): von lat. imperium, d.h. Befehlsgewalt, Befugnis. • Definition • Verständnishilfe: Definiton beim mittelalterlichen Historiker Wipo, nach welchem ein Reich ein politisches Gebilde ist, das mehrere Königreiche umfaßt • Reich = eine politische Organisationsform, welche mehr oder minder lose eine Mehrzahl von gleichwie strukturierten politischen Systemen umfaßt (Staaten ebenso wie persönliche Herrschaften oder Protektorate) und genau so weit ‚reicht‘, wie eine wenigstens symbolisch akzeptierte Herrschaftsbefugnis besteht • d.h.: Ein Reich ist einesteils ‚mehr‘ als ein Staat, insofern es eine höhere Systemebene politischer Integration darstellt, und andernteils ist ein Reich ‚weniger‘ als ein Staat, insofern es weder selbst ein Staat sein muß noch seinerseits Staaten umfassen muß • Erscheinungsformen • Reiche der Hethiter, Perser, Römer, Franken, Deutschen, arabischen und osmanischen Kalifen, Mongolen, Chinesen, Engländer (im Imperialismus) und US-Amerikaner (heute!)

  15. Fazit – für das Thema der Vorlesungsreihe Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! • Der Staat, und zumal ein demokratischer Verfassungsstaat ist … • ein ‚riskantes Wunderwerk‘ • eine ‚Dauerbaustelle‘ wie eine gotische Sandsteinkathedrale • Ein solcher Staat kann … • unglaublich viel: Sicherung von Recht und Ordnung, von Freiheit, von selbstbestimmter politischer Teilhabe, von Mindeststandards sozialer Gerechtigkeit, von wirtschaftlicher Wohlfahrt usw. • nicht alles: Er beruht auf Voraussetzungen, die er nicht selbst schaffen, sondern allenfalls – und auch nur bei Unterstützung eines großen Teils seiner Bürger – sichern kann. • kann übernutzt und abgenutzt werden: durch Inflation der Ansprüche an den Staat und Deflation an der eigenen Leistungen für den Staat • UNSER möglicher Beitrag: • erkennen, was wir am Staat haben • erkennen, wo und wie wir ihn durch Tun und Lassen sichern können • gutwillig mit dem Staat und seinen Voraussetzungen umgehen !

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