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Einführung in die Wirtschaftsanthropologie

Einführung in die Wirtschaftsanthropologie. Prof. Dr. Johannes Moser SS 2008. Definitionen. “Die Wirtschaft ist die Gesamtheit aller Einrichtungen und Maßnahmen menschlicher Daseinsgestaltung, die sich auf Produktion und Konsum sog. knapper Güter beziehen”. (Meyers Taschenlexikon)

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Einführung in die Wirtschaftsanthropologie

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  1. Einführung in die Wirtschaftsanthropologie Prof. Dr. Johannes Moser SS 2008

  2. Definitionen • “Die Wirtschaft ist die Gesamtheit aller Einrichtungen und Maßnahmen menschlicher Daseinsgestaltung, die sich auf Produktion und Konsum sog. knapper Güter beziehen”. (Meyers Taschenlexikon) • Wirtschaft ist die Gesamtheit der Einrichtungen und Prozesse, aus denen sich laufend eine Bedürfnisbefriedigung durch Produktion und Verteilung von Gütern und durch das Angebot von Dienstleistungen für eine Bevölkerung ergibt. (Soziologisches Wörterbuch) • Als Wirtschaft oder Ökonomie wird die Gesamtheit aller Einrichtungen, wie Unternehmen, private und öffentliche Haushalte, und Handlungen verstanden, die der planvollen Deckung des menschlichen Bedarfs dienen. Hierzu zählen insbesondere die Herstellung, der Verbrauch, der Umlauf und die Verteilung von Gütern. (Wikipedia)

  3. Definitionen • Die technischen Methoden und sozialen Organisationsformen der Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur (…) sowie die Aneignung, Verteilung und Konsumtion der dadurch gewonnenen Produkte. (ethnologisches Wörterbuch) • „Die Wirtschaftsethnologie ist jener Bereich der Ethnologie, der sich mit den sozialen Prozessen der Versorgung von Menschen mit Gütern und Leistungen - dies ist eben Wirtschaft - befaßt.” (Ethnologie-Einführung) • Wirtschaft im engeren Sinne bedeutet die Aufteilung knapper Mittel auf konkurrierende Ziele. (Marvin Harris) • “Wirtschaft umfaßt diejenigen kulturell determinierten Aktivitäten, durch welche Menschen mit ihrer physischen und sozialen Umgebung interagieren und die sich auf die Allokation knapper Ressourcen auf ihre unterschiedlichen Bedürfnisse beziehen.” (Martin Rössler)

  4. Produktion • “Die Produktion ist derjenige Aspekt men-schlicher Aktivitäten, in dem die wirtschaft-lichen Werte durch Arbeit hervorgebracht werden.“ (Jürgen Jensen) • Produktionsfaktoren • natürliche Ressourcen • Arbeitskraft und Kenntnisse von Menschen • Produktionsmittel (technische Hilfsmittel)

  5. Tausch • Um die Versorgung der Menschen zu gewährleisten, müssen die Güter und Leistungen von den Produzenten zu den Konsumenten gelangen. Dieser Prozess wird mit dem Begriff Distribution zusammengefasst, wobei die Distribution von Gütern und Leistungen größtenteils durch soziale Mechanismen des Austauschs geschieht. • Neben den Formen des Tauschs gibt es noch die Selbstversorgung oder Subsistenzwirtschaft, wo die produzierten Güter von den Produzenten selbst verwendet werden. • Behauptung: Das gesamte soziale Leben besteht aus verschiedenen Formen des Austausches.

  6. Tausch • Es gibt drei grundlegende Tauschregelungen: • Reziprozität • Redistribution • Marktaustausch Bei der Reziprozität gibt es ausgeglichene, generalisierte und negative Reziprozität.

  7. Ausgeglichene Reziprozitätgetauschte Güter und Leistungen müssen imweitesten Sinn äquivalent sein

  8. Generalisierte Reziprozität

  9. Negative Reziprozität Student A klaut ein Buch aus der Bibliothek Student A stellt das Buch in die eigene Bibliothek

  10. Redistribution Bauern oder Untertanen liefern Getreide und Dienstleistungen an die Redistributionszentrale

  11. Marktaustausch • Beim Marktaustausch tauschen zwei rechtlich gleichberechtigte Partner (Personen oder Institutionen) genau abgemessene, als Äquivalente angesehene Güter und/oder Dienstleistungen. Über die Tauschakte hinaus muß keinerlei soziale Beziehung zwischen den Partnern bestehen. Der Tausch kann rein naturalwirtschaftlich durchgeführt werden oder aber geldwirtschaftlich. Voraussetzung ist, daß die Partner überhaupt das Veräußerungsrecht an ihren Gütern und Leistungen haben.

  12. Tausch-Literatur • Marcel Mauss: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Frankfurt am Main 1984 (11950). • Helmuth Berking: Schenken. Zur Anthropologie des Gebens. Frankfurt/Main 1995.

  13. Marcel Mauss: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Frankfurt am Main 1984 (11950). • Marcel Mauss (1872-1950) – französischer Soziologe und Ethnologe; Neffe von Emile Durkheim • Sein „Essai sur le don“ (Originaltitel) stammt eigentlich aus dem Jahr 1925 und gilt als sein Hauptwerk • Dieser Essay ist nach Evans-Pritchard die erste systematische und vergleichende Studie über das System des Geschenkaustauschs • Entwarf den Begriff des „fait social total“ – die totale gesellschaftliche Tatsache • Den Gabentausch versteht er nun als eine totale gesellschaftliche Tatsache • Obwohl Mauss der Form und Funktion des Gabentauschs in archaischen Gesellschaften nachgeht, meint er, damit auch die eigene Gesellschaft tiefer erfassen und verbessern zu können.

  14. Mauss: Die Gabe • In vielen Kulturen „finden Austausch und Verträge in Form von Geschenken statt, die theoretisch frei willig sind, in Wirklichkeit jedoch immer gegeben und erwidert werden müssen“. Mauss interessieren zwei Fragen: • „Welches ist der Grundsatz des Rechts und Interesses, der bewirkt, daß in den rückständigen oder archaischen Gesellschaften das empfangene Geschenk zwangsläufig erwidert wird? • Was liegt in der gegebenen Sache für eine Kraft, die bewirkt, daß der Empfänger sie erwidert?“ 4 Kapitel I. Die Gaben und die Verpflichtung, sie zu erwidern II. Verbreitung dieses Systems. Freigiebigkeit, Ehre, Geld III. Weiterleben dieser Prinzipien in den alten Rechts- und Wirtschafts- ordnungen IV. Schlußfolgerungen

  15. Mauss – Kapitel 1 • Potlatsch ist eine Form des demonstrativen Konsums, der vor allem von den Indianern im Nordwesten Nordamerikas bekannt ist. Ruth Benedict hat den Potlatsch bei den Kwakiutl beschrieben. • Mauss entdeckte den Potlatsch auch bei den Polynesiern und findet zwei Elemente: • Die Ehre, das Prestige, das mana • Die absolute Verpflichtung, die Gabe zu erwidern, weil sonst das mana verloren geht

  16. Ausgehend von den Maori zeigte Mauss, dass gegebene Sachen einen Geist (hau) haben. Dieser Geist hängt an der Person, die gegeben hat, wodurch eine Gabe eine rechtliche Bindung ergibt. Jemand etwas geben, heißt demnach immer, jemand etwas von sich selbst geben. Daraus ergeben sich drei Momente des Tausches: die Verpflichtung, Geschenke zu machen die Verpflichtung, Geschenke anzunehmen und die Verpflichtung, Geschenke zu erwidern Theorie des Almosens Im Almosen verbindet sich ein moralischer Begriff von Gabe und Reichtum mit einem Begriff des Opfers. Die Freigiebigkeit ist hier obligatorisch – wer an Glück und Reichtum gesegnet ist, muss an Arme und Kinder abgeben, was auch als ein Opfer an Götter wie Geister gelten kann.

  17. Kapitel II • Hier verfolgt Mauss seine Idee weiter, dass der Gabentausch ein totales soziales Phänomen ist. • Auf den Andamanen dient die Vergabe von Geschenken dazu, Freundschaft zu stiften und es gibt ein Art Wettstreit, wer die wertvollsten Geschenke macht, was wiederum zu nicht intendierten Streitereien führen kann. • Er zeigt, dass auch Formen des Kredits bereits bekannt waren und kein höheres Stadium der Zivilisation markieren. • Erwähnt abermals die Aspekte Ehre und Prestige • Beschreibt den Potlatsch als totales Phänomen mit den bereits genannten Dimensionen des Gebens, Nehmens und Erwiderns.

  18. Kapitel III • Geht hier auf verschiedene noch nicht behandelte Gesellschaften ein. • Im Römischen Recht stellt das nexum (die älteste Form eines Vertrags im Römischen Recht) ein rechtliches Band dar, das über den juridischen Akt hinausreicht – z.B. waren auch religiöse Vorstellungen inkludiert. • Auch die Übergabe einer res (Sache) schuf ein Rechtsband, das die Tauschenden miteinander verband. • Im Germanischen Recht war neben der Gabe das Pfand ein wichtiges Instrument • Das chinesische Recht anerkennt ebenfalls das unlösbare Band einer jeden Sache mit ihrem ursprünglichen Besitzer.

  19. Kapitel IV Schlußfolgerungen • Auch in den modernen Gesellschaften wirken die alten Prinzipien nach. Eine nicht erwiderte Gabe erniedrigt denjenigen, der die Gabe angenommen hat. • Für Mauss sind die Sozialgesetze eine Rückkehr zur Gruppenmoral. • Das Spendensystem vor allem der angelsächsischen Länder weist für ihn auch in diese Richtung. • Mauss hätte gerne, dass die modernen Gesellschaften insgesamt auf der Basis der Moral des Geschenkaustauschs aufbauten.

  20. Mauss: Totale gesellschaftliche Tatsache • Die totale gesellschaftliche Tatsache ist ein zentrales Element in Mauss Theorie • Sie meint erstens, dass alle Aspekte der gesellschaft-lichen Praxis und alle Institutionen und Gruppen darin verwoben sind • Und zweitens, dass sich in einer totalen gesellschaft-lichen Tatsache eine Gesellschaft in ihrer „Ganzheit“ repräsentiert und reproduziert. • Bei der Gabe etwa verbinden sich ökonomische, soziale, religiöse, juristische und symbolische Aspekte, die in Summe etwas über die jeweilige Gesellschaft aussagen.

  21. Konsum • Unter Konsum wird ganz allgemein der Verzehr oder Verbrauch von Gütern verstanden. • Konsum geht zurück auf die Bedürfnisse von Menschen, die unterschieden werden können in • physische Bedürfnisse: Essen, Trinken, Wärme und Schutz durch Wohnung und Kleidung • psychische Bedürfnissen (Gewährleistung einer gewissen sozialen Sicherheit oder Hilfe bei der geistigen Weltorientierung) • Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, diese Bedürfnisse zu befriedigen

  22. Beispiel Nahrung • Nicht alle genießbaren Sachen werden von Menschen tatsächlich konsumiert. Manche Speisen sind in man-chen Gesellschaften oder bei Religionen verboten, man-che werden einfach weniger bevorzugt oder gemieden. • Moslems und Juden essen kein Schweinefleisch • In manchen Teilen Afrikas dürfen Frauen keine Eier essen • Hindus essen kein Rinderfleisch • Europäer üblicherweise weder Katzen noch Hunde • Pferdefleisch ist etwa in Großbritannien und den USA tabu • Europäer vermeiden den Verzehr von Insekten • In Ostasien wird keine Milch getrunken Pflanzentabus sind selten und gelten manchmal nur geschlechtsspezifisch.

  23. Weitere Konsumnormen • Konsumnormen gibt es nicht nur nach verschiedenen Gesellschaften und/oder ethnischen und/oder religiösen Gruppen, sondern etwa auch nach sozialem Status. • Etwa geschlechtsspezifische Kleidung, Schmuck und Kosmetik • Berufsbezogene Kleidung • Der Ornat bei Geistlichen • Der Talar etwa als Kleidung akademischer Würdenträger aber ebenso bei evangelischen Pfarrern • Die Soutane bei katholischen Priestern • Die Uniform • Der Wert von Konsumgütern bemisst sich meist nach zwei Aspekten: • Brauchbarkeit • Prestige

  24. Geschichte & Theorie der WA • Wichtige Impulse für die Wirtschaftsanthropologie kamen aus England und den USA, später auch Frankreich. Aus Deutschland nur Richard Thurnwald • Wichtigste Werke, die für die frühe Wirtschaftsanthropo-logie eine Rolle spielen: • Henry Lewis Morgan: Ancient Society, 1877 (dt.: Urgesellschaft). Morgan beschäftigte sich u.a. mit einer Analyse des Eigentumstransfers in tribalen, nicht marktlichen Ökonomien, wobei in das Verhltnis zwischen Verwandtschaftssystemen und Vererbungsregeln interessierte. • Bronislaw Malinowski: Argonauten des westlichen Pazifik, 1922. Malinowski untersuchte darin vor allem den Kula-Tausch. • Marcel Mauss: Essai sur le don, 1925 (dt. Die Gabe)

  25. Geschichte & Theorie der WA • Unterschied zwischen Wirtschaft und Wirtschaftswissen-schaft ist zu beachten • Die Wirtschaft ist ein Modus des Lebens und Überlebens (siehe Definitionen zu Beginn) • Die Wirtschaftswissenschaft ist ein Modus der Analyse, in den allerdings auch Vorstellungen über Wirtschaft einfließen • Daher besteht auch ein Unterschied zwischen dem Vorgehen der Wirtschaftsanthropologie und dem der Wirtschaftswissenschaft • Die kulturwissenschaftlichen Disziplinen folgen in der Regel einem induktiven Paradigma, die Wirtschaftswissenschaften einem deduktiven Paradigma. • Induktion bedeutet die Herleitung des Allgemeinen aus dem Speziellen. Ein induktives Vorgehen besteht zum Beispiel darin, verschiedene empirische Daten zusammenzutragen, um daraus Erklärungsmodelle zu entwickeln. • Deduktion hingegen versucht das Spezielle aus allgemein gültigen Gesetzen abzuleiten.

  26. Geschichte & Theorie der WA • Adam Smith (1723-1790), Moralphilosoph und Be-gründer der klassischen Volkswirtschaftslehre • Hauptwerk: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776) • Ausgangspunkt waren die sog. Physiokraten, die davon ausgingen, dass einzig die Landwirtschaft zur Wert-schöpfung in einer Volkswirtschaft beitrage. • Hauptvertreter: Francois Quesnay (1694-1774) und Anne Robert Jacques Turgot (1727-81) • Physiokratismus war eine Gegenbewegung zum Mer-kantilismus (Jean-Baptiste Colbert, 1619-1683), der in den wirtschaftlichen Außenbeziehungen die Quelle der Wertschöpfung sah. • Merkantilismus war das erste « Wirtschaftsmodell der absolutistischen Staaten der Frühen Neuzeit.

  27. Geschichte & Theorie der WA • Adam Smith sieht im Gegensatz zu den Physiokraten die Landwirtschaft und die Industrie als produktiv. • Die Arbeit wird das Maß des austauschbaren Wertes aller Waren. • Prinzip des „laissez faire“, wodurch die Barrieren für die Entwicklung des Fabrikwesens beseitigt werden sollten. • Menschenbild des homo oeconomicus • der Mensch handelt allein nach dem Maßstab seines Eigenin-teresses • er handelt rational in dem Sinn, dass er seine Position materiell und sozial verbessern will • er strebt nach Maximierung seines Anteils am freien Markt • Eigeninteresse der Akteure ist entscheidend für das Funktionieren der Ökonomie • „Prinzip der unsichtbaren Hand“ scheint die Menschen zu leiten.

  28. Geschichte & Theorie der WA • Ideengeschichtliche Vorläufer für die Ausführungen von Adam Smith, wie Albert O. Hirschmann in seinem Buch „Leidenschaften und Interessen“ trefflich gezeigt hat. • Hirschmann zeigt den Übergang von mittelalterlichen Denken zur Moderne. • Bei Augustinus und in seiner Nachfolge durch das gesamte Mittelalter gab es noch 3 Hauptsünden: • Begierde nach Geld und Besitz; • Die Machtgier; • Die sexuelle Begierde • Im Laufe der Frühen Neuzeit entstand dann der Vorschlag, die Leidenschaften, statt sie zu unterdrücken, für andere Zwecke einzuspannen und nutzbar zu machen. • Bei Blaise Pascal (1623-1664) und Giambattista Vico (1668-1744) soll etwa aus den Lastern Grausamkeit, Habsucht und Ehrgeiz durch die Gesellschaft nationale Verteidigung, Handel und Politik werden, die dem Stadt nützen.

  29. Geschichte & Theorie der WA • Bei Adam Smith z.B. wird die Leidenschaft Habsucht durch die Termini „Vorteil“ und „Interesse“ ersetzt. • Den Interessen entsprangen die positiven Folgen men-schlichen Handelns, den Leidenschaften die verhäng-nisvollen. • Interesse wurde im 18. Jh. Zu einem zentralen Begriff. Dabei wurde er als frei von der Destruktivität der Leiden-schaften gesehen, aber auch frei von der Wirkungslosig-keit der Vernunft. • Während die Leidenschaften also wild und gefährlich waren, war die Sorge um die eigenen materiellen Interessen unschuldig und unschädlich. Dem Handel wurden dann auch Eigenschaften wie Höflichkeit und feine Manieren zugeschrieben und er galt insgesamt als nützliches Verhalten.

  30. Geschichte & Theorie der WA • Durch die industrielle Revolution werden die kapitalisti-schen Profite zur wichtigsten Komponente des Mehrwertproduktes. • Die Verteilung dieses Mehrwertes verlangte ein spezi-fisches Wissen über die Festlegung von Löhnen, Prei-sen, Pacht und Profitraten • David Ricardo (1772-1823) schuf mit seiner Werttheorie und seiner Arbeitswertlehre eine Grundlage dafür. • Bei Karl Marx, der den Klassenkonflikt zwischen Lohnar-beit und Kapital betonte, spielte die Arbeitswerttheorie eine wichtige Rolle. • Ricardos Ansätze wurden dann vom Utilitarismus abgelöst, der den Zweck menschlichen Handelns im Nutzen für den Einzelnen und die Gemeinschaft sieht. Streben nach Glück ist das handlungsleitende Prinzip.

  31. Neoklassische Ökonomie • Für die Wirtschaftsanthropologie ist die Neoklassische (entstand ab 1870) Ökonomie von zentraler Bedeutung. • Wichtigste Vertreter: W. Stanley Jevons (GB), Leon Walras (CH) und Carl Menger (A) • Grundzüge neoklassischer Theorie nach Jevons: • jeder Mensch wählt offensichtlich das größere Gut • menschliche Bedürfnisse werden mehr oder weniger schlecht befriedigt • fortgesetzte Arbeit verursacht nach und nach Leid • von diesen Axiomen könnten alle weiteren Fragen abgeleitet und bei Vorliegen entsprechender Daten beantwortet werden. • Dahinter steckt folgendes Grundaxiom, das die Neoklassische Ökonomie interessiert: nämlich die Allokation knapper Ressourcen auf unbegrenzte menschliche Bedürfnisse.

  32. Neoklassische Ökonomie • Von der Klassischen Ökonomie wurde der Kerngedanke des rationalen, nach Maximierung strebenden homo oeconomicus übernommen. • Während sich die Klassiker für die Produktion und Distribution der Waren interessierte, liegt der Fokus der Neoklassiker beim Verbrauch (Konsum) von Gütern. • Ein zentraler Begriff ist der Grenznutzen • In der ökonomischen Theorie werden Ware und Gut unterschieden: • Ein Gut ist allgemeiner und ist der zentrale analytische Begriff • Eine Ware wird hauptsächlich für den Tausch oder Verkauf hergestellt. Waren sind eine Unterkategorie von Gütern. • Güter werden in Sachgüter und Dienstleistungen unterschieden.

  33. Güter • Ein Gut ist der zentrale analytische Begriff • Eine Ware wird hauptsächlich für den Tausch oder Verkauf hergestellt. Waren sind eine Unterkategorie von Gütern. • Güter werden in Sachgüter und Dienstleistungen unterschieden • Ein Sachgut ist ein materieller, körperlicher Gegenstand, der für die Produktion, für den Verbrauch oder auch für den Tausch eingesetzt werden kann. • Dienstleistung ist ein Vorgang, der an bestimmte Pro-duktionsziele gekoppelt ist und Bedürfnisse befriedigt. • Die Begriffe Ware und Gut sind hauptsächlich an den ökonomischen Kontext des Kapitalismus gebunden – darüber hinaus ist der Begriff der Gabe wichtig.

  34. Theorie der Wirtschaftsanthropologie • Neoklassische Theorie hat sich weiter entwickelt und ist hochgradig mathematisiert • Sie ist die Grundlage der so genannten Mikroökonomie, die das Verhalten und die Entscheidungen einzelner Wirtschaftssubjekte untersucht • Die neoklassische Theorie ist auch die Grundlage der formalistisch ausgerichteten Wirtschaftsanthropologie • Neoklassische Ökonomen verzichten bewusst auf die empirische Haltbarkeit ihrer Modelle • Grundlegendes Problem zwischen Theorie und Realität in den Debatten der Wirtschaftsanthropologie • Zusätzliches Problem, dass die Modelle (z.B. neoklassi-sche, aber auch marxistische Theorie) an die Verhältnis-se des mitteleuropäischen Kapitalismus gekoppelt sind

  35. Theorie der Wirtschaftsanthropologie • Die deduktive mikroökonomische Theorie kennt keine Regeln, die ihr Verhältnis zur Realität klärt • Daher können die aus mathematischen Formeln gewon-nenen Schlussfolgerungen zwar als präzise, letztlich aber als irrelevant bezeichnet werden • Die Gegner der neoklassischen Theorie in der WA werden Substantivisten genannt. Sie kritisieren • dass Theorie und Empirie kaum überein stimmen • und wenn sie übereinstimmen, dann gelte es nur für die kapitalistischen Marktwirtschaften • Es bleibt demnach die Frage, ob die neoklassische The-orie auf verschiedene kulturelle oder gesellschaftliche Systeme angewandt werden kann und ob und inwieweit sie die beobachteten Phänomene erklären kann.

  36. Theorie der Wirtschaftsanthropologie • Befürworter argumentieren, die mikroökonomische Theorie könne in ihrer Logik und Terminologie als Grammatik allen Wirtschaftens betrachtet werden. • Als deduktive und normative Theorie fragt die Mikro-ökonomik nicht danach, wie sich Menschen wirklich verhalten, sondern wie sie sich verhalten sollten, wenn ihre Entscheidungen effizient sein sollen. • Wichtig ist dabei die Frage der Rationalität, weil Rationa-lität als Voraussetzung für effektives Handeln gesehen wird. • Rationalität ist das logische und vernunftgemäße Be-rechnen anhand bestehender Gesetzmäßigkeiten. • Problematik: was ist rational?

  37. Theorie der Wirtschaftsanthropologie • Die neoklassischen Theorie fragt, wie Wirtschaftseinhei-ten – das können einzelne Individuen, Haushalte oder Unternehmen sein – bei gegebenen knappen Ressour-cen ihre Bedürfnisse optimal befriedigen, also maximalen Nutzen erzielen. • Vorausgesetzt wird, daß Menschen unterschiedliche Alternativen rational vergleichen und dann jene Entschei-dung treffen, die maximalen Nutzen erwarten lässt. • Worin der maximale Nutzen besteht, ist nicht explizit festgelegt. • Zwei Konzepte von Rationalität • formale Rationalität: das höchste erreichbare Ziel ist anzustreben • Substantielle Rationalität: bezieht sich auf den Inhalt des Ziels

  38. Theorie der Wirtschaftsanthropologie • Mikroökonomische Theorie hat zwei Aspekte zur Basis • die Haushalts- und Nachfragetheorie • die Produktionstheorie • Frage: Auf welche Weise werden Einzelentscheidun-gen von Wirtschaftseinheiten koordiniert, wobei drei Problemen zentrale Bedeutung zukommt. • welche Güter werden in welchen Mengen produziert • welche Ressourcen werden für die Produktion verwendet und welche Produktionsmethoden werden angewandt (welches Land, welcher Umfang von Arbeitskraft, welcher Kapitaleinsatz) • wie werden die produzierten Güter an die Wirtschaftseinheiten verteilt (Verkauf, Tausch, Konsum)

  39. Wirtschaftstypen • Wildbeuter sowie spezialisierte Sammler, Jäger oder Fischer • Feldbauern oder niederer Bodenbau • Hirten • Höherer Bodenbau • Industrielle Produktion Die vorherrschenden Techniken der Nahrungsmittelproduk-tion beeinflussen sowohl die Wirtschaft als auch die gesamte Kultur.

  40. Wildbeuter • Sie sind Jäger und Sammler – jagen also Tiere und sammeln Pflanzen • Lebensunterhalt gründet nicht auf domestizierte Pflanzen oder Tiere • Leben von der Umwelt, wie sie diese vorfinden • Leben in kleinen Gruppen (Horden), welche selten mehr als 50 Personen ausmachen • Diese Gruppen sind locker strukturiert, Mitgliedschaft ändert sich ständig • Können daher flexibel auf Änderungen der Umwelt rea-gieren (Klimawechsel, Wassermangel, Wildmangel o.ä.) • Sie sind mobil und leben nomadisch, weil sie den Ressourcen folgen

  41. Wildbeuter II • Es gibt keine formal definierten Führungspositionen, sondern nur eine Art informeller Führung • Bei der Arbeitsteilung herrscht Selbstverantwortlichkeit, niemand kann Arbeit anschaffen • niemand hat Anspruch auf Anteile an den Produkten der Arbeit anderer • Vor allem Erträge aus der Jagd werden dennoch geteilt • Keine Arbeitsspezialisierung durch Vollzeitspezialisten • Arbeitsteilung nach Geschlecht, wonach die Männer vor allem jagen und die Frauen sammeln • Es existiert zudem eine Arbeitsteilung nach dem Lebensalter

  42. Wildbeuter III • Jeder Haushalt sorgt im Wesentlichen für sich selbst • Religiöse Funktionen werden in den Haushalten erfüllt • Wildbeuter-Gesellschaften gelten als egalitär, es gibt keine soziale Schichtung und keine sozialen Klassen • Zumindest theoretisch hat jedes Mitglied der Gesellschaft den gleichen Zugang zu den Ressourcen • Die sozialen Beziehungen werden über das Merkmal der Verwandtschaft geregelt • Jäger und Sammler haben kein "Eigentum" an Land oder Ressourcen in unserem Sinne • Sie sind Polytheisten und es gibt kein formales Priester-tum, aber Schamanen, die konsultiert werden

  43. Wildbeuter IV • Marshall Sahlins: Stone Age Economics (1974) • Wichtiges Werk der Wirtschaftsanthropologie, weil er eine kulturalistische und eine materialistische Perspek-tive zu verbinden sucht • Das Buch ist eine Aufsatzsammlung, die drei Schwerpunkte hat: 1. The Original Affluent Society; 2. The Domestic Mode of Production; 3. Tauschtheorie • Aufmerksamkeit erzielte das Buch zunächst, weil Sahlins die Jäger und Sammler als originale Wohlstandsgesell-schaft bezeichnet hat • Geschah in Anlehnung an das Buch „The Affluent Socie-ty“ (1958) von John Galbraith, der die kapitalistischen Industriegesellschaften als Überflußgesellschaften bezeichnete und daher soziale Verantwortung einklagte

  44. Wildbeuter V • Vor Sahlins war die gängige Auffassung, Wildbeuter zeichneten sich aus durch: • reine Subsistenzökonomie • begrenzten Freizeitgewinn und außergewöhnliche Bedingungen • ständige Suche nach Nahrung • kärgliche und unzuverlässige Ressourcen • Fehlen eines wirtschaftlichen Überflusses • Seien näher dem tierischen als dem menschlichen Leben • Daher wurde auch die neolithische Revolution als großer Sprung in der Entwicklung der Menschheit gesehen • Leslie White meinte etwa, vor der neolithischen Kultur wäre die menschliche Anstrengung die einzige Energie-quelle gewesen, dann hätte man auch über domestizierte Pflanzen und Tier verfügt.

  45. Wildbeuter VI • Sahlins meint dagegen: • Energieverbrauch pro Kopf und Jahr sei bis zur industriellen Revolution nahezu konstant gewesen • Perspektive auf Jäger und Sammler sei eine der westlichen Ge-sellschaften, die gewisse Nahrungsmittel als ungenießbar sieht • Wildbeuter hätten wenig Besitz, um mobil sein zu können • Zeitaufwand für Nahrungsbeschaffung sei gering (bei manchen Gesellschaften nur 2-4 Stunden pro Tag) • Hätten immer alles, was sie benötigten • Arbeitszeit pro Kopf steigt mit kultureller Evolution, der Anteil der Freizeit sinkt • Was der Jäger offensichtlich brauchte, war die gesicherte Freizeit eines aristokratischen Philosophen • Meinte auch, dass der Anteil von Hunger in der Welt nie so groß gewesen sei wie in der industriellen Welt

  46. Niederer Bodenbau • Vor ca. 10.000 Jahren beginnen die Menschen mit der Produktion von Nahrung durch Bodenbau • Einfache Werkzeuge, aber kein Pflug und keine Zugtiere • Dies wird als neolithische Revolution und neben der industriellen Revolution als die bislang bedeutendste in der Menschheitsgeschichte bezeichnet • Brandrodungsbau war die meist verbreitete Form • Jedes Stück Land wird eine Zeitlang genützt und danach zwecks Boden-Regenerierung sich selbst überlassen • man benötigt viel Land und wenig Bevölkerung (extensiver Anbau) • Bei wenig Land üben die Pflanzer auch intensiven An-bau, durch Fruchtwechsel, Düngung, Terrassenbau oder begrenzte Bewässerung

  47. Niederer Bodenbau II • Die Sozialorganisation dieser Gesellschaften ist uneinheitlich bei einigen Gemeinsamkeiten: • Zumindest temporäre Seßhaftigkeit • Größere Populationen durch größere Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung • Bei extensivem Anbau kleinere Dörfer in weiterer Entfernung, zwischen denen die Menschen wechseln • Bei intensivem Anbau größere Siedlungen und meist keine Verlagerung der Wohnstätten mehr • Innerhalb des Typus des niederen Bodenbaus gibt es verschiedene Stadien, die vom geringfügigen Bodenbau, in dem ein Großteil der Nahrungsmittelgewinnung noch durch Jagen und Sammeln erzielt wird, bis zum intensiveren Bodenbau, bei dem Jagen und Sammeln bereits unbedeutend geworden sind • Zugehörigkeit zu größeren sozialen Gebilden als der Familie gewinnt an Bedeutung

  48. Niederer Bodenbau III • Menschen (bzw. Gruppen von Menschen) beanspruchen ein Eigentumsrecht an den Produkten ihrer Arbeit, für die sie Zeit und Energie verbraucht haben • Die Gesellschaft wird durch Verwandtschaftsbeziehungen - wie z.B. bei Lineages und Klans - strukturiert, anders als bei den Wildbeutern sind das aber relativ stabile Deszendenz- oder Verwandtschaftsgruppen • Die politische Organisation wird komplexer wegen der Notwen-digkeit eines Systems von Rechten und Pflichten, die sich auf die Arbeit und auf die Produkte der Arbeit beziehen • entstehen Führungspositionen, die stabiler sind als bei den Wildbeutern • Es entwickeln sich auch Konzepte von Territorialität (die Beanspruchung von Besitzrechten am Land) • Arbeitsteilung primär nach Geschlecht und Lebensalter

  49. Niederer Bodenbau IV • Erste Formen von Arbeitsspezialisierung und sozialer Schichtung • Die Religion ist noch vorwiegend polytheistisch, allerdings können die Gottheiten - entsprechend der Realität in der Gesellschaft - bereits in eine Hierarchie gebracht werden • Es gibt nun auch religiöse Handlungen auf kollektiver Ebene • Darüber hinaus gibt es als eine Sonderform der Religion den so genannten Ahnenkult • Bronislaw Malinowski (1884-1942) • Argonauten des westlichen Pazifik (1922) • Korallengärten und ihre Magie. Bodenbestellung und bäuerliche Riten auf den Trobriand-Inseln (1935)

  50. Höherer Bodenbau • Der höhere Bodenbau ist ein Anbausystem, das den Gebrauch des Pfluges und von Zugtieren kennt • Es gibt großräumige künstliche Bewässerung • Es wird auch auf andere elaboriertere Formen der Agrartechnik zurückgegriffen • Häufig existieren Metallbearbeitung, das Rad und stabilere Bauwerke • Mit all diesen Techniken kann bereits ein kalkulierbarer Ernteüberschuß eingefahren werden • Folgen sind eine größere Bevölkerung • Es gibt eine umfassendere Arbeitsteilung • Die Gesellschaften/Gruppen sind stabiler und seßhaft

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