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Wer bestimmt eigentlich, was normal ist?

Wer bestimmt eigentlich, was normal ist? . Workshop Nottwil ADHS-Tagung 7. September 2013 Daniel Barth. Buchtipp:. Übersicht. Einführung Wer ist normal? Idealnorm; statistische Norm; funktionelle Norm; … Wozu braucht es überhaupt Diagnosen?

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Wer bestimmt eigentlich, was normal ist?

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Presentation Transcript


  1. Wer bestimmt eigentlich, was normal ist? Workshop Nottwil ADHS-Tagung 7. September 2013 Daniel Barth

  2. Buchtipp:

  3. Übersicht • Einführung • Wer ist normal? • Idealnorm; statistische Norm; funktionelle Norm; … • Wozu braucht es überhaupt Diagnosen? • Wie lassen sich psychische Krankheiten definieren? • Modediagnosen? Inflationäre Zunahme der ADHS? • Einflüsse auf die Definition der Normgrenzen • Landesübliche gesellschaftliche Erwartungen treffen auf ungewöhnliches Entwicklungprofil • Was folgern wir daraus?

  4. Wer bestimmt wo und für welche Gruppe von Menschen, was als normal gilt? • Im Einzelfall, zum Beispiel im Beratungs- und Behandlungskontext präsentiert sich die Frage anders als • im Kontext grösserer lokaler Gruppe, zum Beispiel im Schulhaus, im Dorf, in der Peergruppe, im Chatroom • oder allgemein, schweizweit, europäisch, international, global, www, ….

  5. IdealnormDefinition Gesundheit WHO „Gesundheit ist ein Zustand vollständigen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens, der sich nicht nur durch die Abwesenheit von Krankheit oder Behinderung auszeichnet“

  6. Grenzverschiebungen „Einen Tag lang nicht socialized zu sein, gilt inzwischen als ähnlich obszön wie Rauchen, Flatrate Trinken oder CO2-Ausstossen.“ Hilmar Klute, Nordwestschweiz, 30.August 2013

  7. Beispiel ‚Statistische Norm‘: Grösse-Perzentilen

  8. Denver Entwicklungsskalen

  9. Entwicklungsnormen in %-Angaben

  10. Detailansicht zu %-Angaben

  11. Funktionelle Norm, subjektive „Leidensnorm“ • Im psychiatrisch-psychotherapeutischen Praxisalltag kommt der Frage, wie stark Patienten unter ihrer psychischen Symptomatik leiden, eine sehr viel grössere Bedeutung zu als der Frage, ob die Symptomatik ausserhalb oder innerhalb der statistischen Norm liegt • Fallvignette: Jugendlicher mit hellem Hauttyp leidet extrem darunter, dass er in beschämenden Situationen heftig und gut sichtbar errötet, zum Beispiel wenn er vom Lehrer überraschend aufgerufen wird. Er entwickelt Suizidimpulse, weil er nichts dagegen unternehmen kann

  12. Braucht es überhaupt Diagnosen? und wenn ja, wie werden psychiatrische Diagnosen definiert?

  13. „Eine der verbreitetsten Krankheiten ist die Diagnose“ Karl Kraus

  14. Ein Leitsatz in der somatischen Medizin lautet „Keine Behandlung ohne Diagnose“ In der Psychiatrie kommt der Diagnose eher die Bedeutung einer vorläufigen Arbeitshypothese zu.Also könnte man formulieren: „Keine Behandlung ohne überzeugende Arbeitshypothese“.Aber auch: „Keine Behandlung ohne den Mut, die Arbeitshypothese über Bord zu werfen, wenn sie in Widerspruch zu neu auftauchenden Erkenntnissen gerät“

  15. Bislang gibt es – anders als bei einer Vielzahl körperlicher Erkrankungen - keine Marker, mit welchen psychische Krankheiten eineindeutig identifiziert werden könnten. Um trotzdem zu erreichen, dass international bei gleicher Diagnose vom Gleichen gesprochen wird, haben sich amerikanische (DSM5)und europäische (ICD10) psychiatrische Fachgesellschaften auf Kriterienkataloge geeinigt, welche eine möglichst einheitliche Grundlage für die Diagnosestellung bilden sollen.

  16. Diagnostic Criteria for Attention Deficit/HyperactivityDisorderDSM 5(kleinerAusschnitt, lediglichzur Illustration einermöglichenAuflistungvonKriterienimobenerwähntenSinnegedacht, ohneauf den Inhaltnähereinzugehen)

  17. 2.Hyperactivity and Impulsivity: Six (or more) of the followingsymptoms have persisted for at least 6 months to a degreethatisinconsistentwithdevelopmentallevel and that impact directly on social and academic/occupationalactivities. Note: for older adolescents and adults (ages 17 and older), only 4 symptoms are required. The symptoms are not due to oppositionalbehavior, defiance, hostility, or a failure to understandtasks or instructions.

  18. (a)Oftenfidgetsor taps hands or feet or squirms in seat. (b) Is oftenrestlessduringactivitieswhenothers are seated (mayleavehis or her place in the classroom, office or otherworkplace, or in other situations thatrequireremainingseated). (c)Oftenruns about or climbs on furniture and moves excessively in inappropriate situations. In adolescents or adults, maybelimited to feeling restless or confined. (d) Is oftenexcessivelyloudor noisyduringplay, leisure, or social activities. (e) Is often“on the go,” acting as if “driven by a motor.” Is uncomfortablebeingstill for an extended time, as in restaurants, meetings, etc. Seen by others as beingrestless and difficult to keep up with. (f)Oftentalksexcessively. (g)Oftenblurts out an answerbefore a question has been completed. Older adolescents or adultsmaycompletepeople’s sentences and “jump the gun” in conversations. (h) Has difficultywaitinghis or herturn or waiting in line. (i)Ofteninterrupts or intrudeson others (frequentlybuttsinto conversations, games, or activities; maystartusingotherpeople’sthingswithoutasking or receiving permission, adolescents or adultsmayintrudeinto or take over whatothersar

  19. (j) Tends to actwithoutthinking, such asstartingtaskswithoutadequatepreparation or avoidingreading or listening to instructions. May speak out withoutconsideringconsequences or make important decisions on the spur of the moment, such as impulsivelybuying items, suddenlyquitting a job, or breaking up with a friend. (k) Is oftenimpatient, as shown by feeling restlesswhenwaiting for others and wanting to move fasterthanothers, wanting people to get to the point, speedingwhiledriving, and cuttingintotraffic to go fasterthanothers. (l) Is uncomfortabledoingthingsslowly and systematicallyand often rushes throughactivities or tasks. (m) Findsitdifficult to resisttemptations or opportunities, even if itmeanstakingrisks (A childmaygrabtoys off a store shelf or playwithdangerousobjects; adultsmay commit to a relationshipafteronly a briefacquaintance or take a job or enter into a business arrangement withoutdoing due diligence).

  20. B.Severalnoticeable inattentive or hyperactive-impulsive symptomswerepresent by age 12. C.The symptoms are apparent in two or more settings (e.g., at home, school or work, withfriends or relatives, or in otheractivities). D.There must beclearevidencethat the symptomsinterferewith or reduce the quality of social, academic, or occupationalfunctioning. E.The symptoms do not occurexclusivelyduring the course of schizophrenia or anotherpsychoticdisorder and are not betteraccounted for by another mental disorder (e.g., mooddisorder, anxietydisorder, dissociative disorder, or a personalitydisorder).

  21. Einflüsse auf die Definition von Normgrenzen • Wer nimmt – egal ob bewusst und gezielt oder unbewusst - Einfluss darauf, ob ein bestimmtes psychisches Symptombild nun allgemein als ‚noch normal‘ oder bereits als ‚pathologisch‘ wahrgenommen wird? • Welches sind die wichtigsten „Meinungsmacher“ bei uns? • Ich bitte Sie in der nachfolgenden Liste (am Workshop ausgedruckt abgegeben) einzuzeichnen, wessen Einfluss nach Ihrer Meinung in welche Richtung überwiegt. • Pfeil nach links bedeutet „fordert mehr Zurückhaltung bei Diagnosestellung“ • Pfeil nach rechts bedeutet „forciert Diagnosestellung“ • Benennen Sie die Reihenfolge der 7 stärksten „Player“. (7 bedeutet am stärksten, 6 am zweitstärksten usf.)

  22. Zurückhaltung Neutral Forcierung • Betroffene • Familie, Angehörige • Selbsthilfegruppen, … • Nachbarn, Freunde • Schul-, Arbeitskollegen • Peers • Die Leute allgemein • Religion, Ideologie • Zeitgeist • Behandelnde • Berufsverbände • Forschung, Wissenschaft • Ausbildende • Politik • Sozialbehörden • Bildungsbehörden • Medien • Pharmafirmen, … • Versicherungen • Andere (wer?) …………..

  23. Landesüblich „normale“ gesellschaftliche Erwartungen treffen auf ungewöhnliches Entwicklungprofil Warum es erstrebenswert ist, auch leichte ADHS und andere leichte neurobiologisch bedingte Entwicklungsbesonderheiten zu diagnostizieren, im Alltag zu berücksichtigen und zu behandeln

  24. Wer sich nicht normal steuern kann, läuft 3000 Meter!

  25. Menschen, deren Verhalten und Erscheinungsbild krankheits- oder behinderungsbedingt nur geringfügig von der (von der Umgebung erwarteten) Norm abweicht, sind besonders stark dem Risiko ausgesetzt, dass ihnen Absicht, Faulheit oder Renitenz unterstellt wird • Wenn ADHS bei einem Kind oder Jugendlichen eine Rolle spielt, taucht in den Beratungsgesprächen mit den Erwachsenen regelmässig die Frage auf, ob bezogen auf ein bestimmtes Verhalten nun von einem „Nicht-Wollen“ oder einem „Nicht-Können“ auszugehen sei. (Basissymptomatik? komorbide Störungen? sekundäre psychische Störungen? alterstypische Konflikte? familiäre Konflikte? Fehlentwicklungen auf anderer Basis?). Im Zweifelsfall Zweiteres. • Hauptziel der Behandlung ist meist das Vermeiden der Entwicklung oder Zurückbilden sekundärer Störungen, welche durch ständig wiederkehrende Misserfolge, untaugliche pädagogische Exzesse und chronische Herabsetzungen entstehen.

  26. Von der ADHS zur Selbstwertstörung Ulrich Knöllker 2007

  27. (Spät-)Risiken bei ADHS „Norm“ vs ADHS, sic! (D.B.)

  28. Zusammenfassung • Finanziell (andererseits aber auch ideologisch) motivierte Interessegruppen nehmen wesentlichen und ernst zu nehmenden Einfluss auf die Häufigkeit von Diagosestellungen • Das gilt ganz besonders für die USA, aber auch für uns. In der CH weniger stark, weil bei uns andere Werbegesetze gelten • Die Zunahme von Medikamentenverschreibungen bei ADHS darf nicht nur einer inflationären Diagnosestellung angelastet werden. Nachholbedarf; Erwachsene zuvor vernachlässigt. Bei weitem nicht alle verschriebenen Medikamente werden auch tatsächlich eingenommen. • Im Behandlungskontext der Einzelpraxis interessiert es kaum je, ob ein Symptom im Sinne der ( z. B. statistischen) Norm genügend pathologisch sei. Der subjektive Leidensdruck ist massgebend für die Behandlungsentscheide.

  29. Zusammenfassung ff • Tragisch bei ADHS ist, dass durch undifferenzierte Medienkampagniennicht die missbräuchlich Medikamente Anwendenden, sondern ausgerechnet diejenigen Betroffenen und ihre Familien verunsichert werden, welche dringend und fraglos auf eine Medikation angewiesen sind. Sie erfahren eine doppelte Stigmatisierung: Sie schämen sich wegen ihrer Verhaltensauffälligkeiten, aber auch wegen der Behandlung. • Patienten und Eltern wehren sich nach Erfahrung des Referenten in aller Regel sehr rasch und heftig gegen eine Medikation über einen längeren Zeitraum, wenn diese nicht sehr überzeugend wirkt und wenig Nebenwirkungen verursacht.

  30. Zusammenfassung ff ff • Was die ADHS und weitere neurobiologisch bedingte Störungen anbelangt, sind die Empfehlungen zu Copingstrategien und die pädagogischen Implikationen auch für «gesunde» Kinder förderlich, so dass sich der Schaden durch eine allfällig mal falsch positiv ausfallende Diagnose im Rahmen hält. • Die moderne Leistungsgesellschaft stellt bekanntlich hohe Ansprüche an die Normalität im Sinne des perfekten Funktionierens des Einzelnen. Chronische Misserfolgserfahrungen für Menschen mit ADHS sind vorprogrammiert. Es gilt persönliche Strategien zu entwickeln, mit dem Ziel bekannte Schwächen zu kompensieren, aber eventuell auch Nischen zu finden, in welchen ADHS keine Rolle spielt oder sogar Vorteile hat.

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