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Diatopische Dimension der Variation

Diatopische Dimension der Variation. Seminar Varietätenlinguistik 23. Mai 2013 Christine Paasch-Kaiser. Themen. Stellen Dialekte/diatopische Varietäten eine homogene Einheit dar? Diatopische und diastratische Variation Sekundäre Dialekte, Standardsprache und tertiäre Dialekte

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Diatopische Dimension der Variation

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  1. Diatopische Dimension der Variation Seminar Varietätenlinguistik 23. Mai 2013 Christine Paasch-Kaiser

  2. Themen • Stellen Dialekte/diatopische Varietäten eine homogene Einheit dar? • Diatopische und diastratische Variation • Sekundäre Dialekte, Standardsprache und tertiäre Dialekte • Sprache vs. Dialekt: Kriterien und Funktionen Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  3. Die Varietäten einer historischen Sprache nach Coseriu - 1 • 3 Arten von inneren Unterschieden in einer historischen Sprache (1980: 111) • Unterschiede im geographischen Raum: diatopische Unterschiede • Unterschiede zwischen den sozial-kulturellen Schichten: diastratische Unterschiede • Unterschiede zwischen den Sprechsituationen:diaphasische Unterschiede Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  4. Die Varietäten einer historischen Sprache nach Coseriu - 2 • Weitgehend homogene Einheiten der Variation • Dialekte bezeichnet, d.h. als homogene Einheiten bezogen auf einen Ort oder eine Gegend, also nicht auf den gesamten geographischen Raum; • Sprachniveaus (auch Soziolekte) bezeichnet, d.h. als homogene Einheiten bezogen auf eine soziokulturelle Schicht oder eine soziale Gruppe, also nicht auf die Gesellschaft als ganzes; • Stile (oder Register) bezeichnet, d.h. also homogene Einheiten bezogen auf einen Sprechsituationstyp. Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  5. Diatopische Varietäten • Sprachliche Varietät mit begrenztem räumlichen Geltungsbereich (Dialekt) • Überwiegend in der gesprochenen Sprache • Dialekt: keine standardisierte Varietät (keine offizielle Norm: orthographische und grammatische Regeln) Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  6. Zum Begriff dialecto Die Auffassungen über die Abgrenzung von Varietäten (sp. variedades) sind v. a. im Hinblick auf die diatopische Variation […] sehr unterschiedlich; dies hängt auch mit den auseinandergehenden Ansichten darüber zusammen, was unter Dialekt (sp. dialecto) zu verstehen ist. Die Klassifikation einer variedad als dialecto hat(te) politische Implikationen; dialectowurde lange auch auf die anderen Sprachen Spaniens angewandt, deren Unterordnung unter das Kastilische damit gerechtfertigt erschien; damit einher geht bis heute ein in der Bevölkerung oftmals sehr ungenaues Bild über die dialektale Gliederung der Sprache(n) (Sinner 2011: 62). Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  7. Diastratische Varietät • Sprachliche Varietät, die für eine soziale Gruppe charakteristisch ist (Soziolekt): • Bildungsschicht, Geschlecht, Alter, Berufsgruppe, ethische Gruppe • Arten von Soziolekten • Schichtenspezifisch (elaborierter Code vs. restingierter Code) • Gruppensprachen (z. B. Jugendsprache) • Sondersprachen (z. B. Geheimsprachen) Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  8. Abgrenzbarkeit der Varietäten - 1 „Die diatopischen, diastratischen und diaphasischen Unterschiede treten in der historischen Sprache miteinander kombiniert auf: für jede Mundart [Dialekt] kann man Sprachstufen [Sprachniveaus] und Sprachstile feststellen; für jede Sprachstufe mundartliche und stilistische Unterschiede, usw. […] Gerade diese Gestaltung von Mundarten [Dialekt] , Sprachstufen [Sprachniveaus] und Sprachstilen nenne ich die Architektur einer historischen Sprache“ (Coseriu 1976: 28-29). Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  9. Abgrenzbarkeit der Varietäten - 2 „Es sei aber bemerkt, daß all diese Unterscheidungen der historischen Sprache nur in der schematischen Darstellung voneinander getrennt erscheinen. In der Sprache selbst stellen sie vielmehr ein Kontinuum dar. D.h. man hat verschiedene ineinandergreifende Niveaus, bei jedem Niveau z.T. zusammenfallende Sprachstile, Unterschiede im Raume und ineinandergreifende syntopische Einheiten, d.h. Dialekte, und zwar von dreierlei Art: primäre, sekundäre und tertiäre Dialekte“ (Coseriu 1980: 114). Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  10. Dialekt = homogene Einheit? • Sprachgeographie: Teildisziplin der Dialektologie • Festlegung von (mehr oder weniger) homogenen Dialektgebieten über Isoglossen: • Grenzen der Geltungsareale von bestimmten sprachlichen Merkmalen • Probleme: • Ist die Ortsmundart eine homogene Einheit? • Gibt es eine (homogene) Einheit über der Ortsmundart? Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  11. Probleme der Sprachgeographie • Es gibt keine homogenen Einheiten über den Ortsdialekten: • Immer nur Übereinstimmung von Teilsystemen • Zusammenfassen der Ortsmundarten, die gewisse Merkmale gemeinsam haben: höhere Einheit (Dialektgebiet) • Entlang historischer Grenzen = soziale Grenzen = Dialektgrenzen? • Nach externen Kriterien • Zusammenfassen jener Ortsmundarten, die sich am wenigsten von einander unterscheiden • Ähnlichkeitsmaß (kein Wissen über die sprachlichen Merkmale der Ähnlichkeit) Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  12. Bei allen Dialektgebieten geht es um eine Zusammenfassung von Ortsdialekten aufgrund gewisser Kriterien, es geht um „Typen“, es geht nicht um funktionierende Sprachsysteme (Haas 2011: 13). Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  13. Probleme der Sprachgeographie • Es gibt keine homogenen Ortsdialekte • Versuch, Homogenität über die Gruppe der Befragten herzustellen: • Ältere, ortsfeste, eher bildungsferne Personen • Männer oder Frauen: Meinungen unterschiedlich, wer geeigneter ist • Ortsfeste Personen: • Garantie der ortsüblichen Sprache • Bildungsferne Personen: • Möglichst wenig Einfluss der Standardsprache • Ältere Personen: • Möglichst archaisches Material • Anzahl der Informanten: 1 bis 2 Personen pro Ort • teilweise waren Gewährspersonen keine Ortsansässigen • für vergleichbare Ergebnisse müssen außersprachliche Variablen kontrolliert werden Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  14. Probleme der Sprachgeographie • Entdeckung: Alter der Sprecher relevant für Sprachgebrauch • z.B. bei Gilliéron, Bremer, Gauchat => keine Einheitlichkeit im Ortsdialekt: • Inexistenz von Dialektregionen und Ortsmundarten • Soziale Unterschiede müssen berücksichtigt werden: • Alter, Geschlecht usw. Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  15. Sprachtheoretisches Problem Wieso soll nur die Sprache eines Gesellschaftsausschnitts erhoben werden, die Sprache anderer Ausschnitte dagegen nicht – wenn man doch weiß, dass die Einheit des Ortsdialekts fragwürdig ist? (Haas 2011: 16) Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  16. Ergebnisse der Sprachgeographie aus heutiger Perspektive • Einseitig • Unvollständig • Wertvoll: abschätzbar und vergleichbar mit neuerem Material • Nur Ausschnitt aus der Gesellschaft • Unvollständige „Versuchsanordnung“ (Haas 2011) Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  17. Fazit Haas 2011 • Über die geographische Variation lassen sich auch andere Arten der Variation feststellen: müssen berücksichtigt werden • Die geographische Varianz ist nur eine unter vielen Arten der Variation • Aber offensichtlich immer noch die grundlegende Varianz Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  18. Abgrenzung diatopischer und diastratischer Varietäten • Klare Abgrenzung schwierig • Dialekte weisen immer soziale Unterschiede auf, an jedem Ort (Männer vs. Frauen, alt vs. jung usw.) • Dialekte werden z.T. als „regional bestimmte Soziolekte“ interpretiert • Der Begriff ‚Dialekt‘ impliziert nicht mehr nur den außersprachlichen Faktor Raum, sondern meist ebenso den Faktor soziale Schicht (Linke u.a. 1991: 305) Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  19. Dialekt vs. Soziolekt • Deshalb oft negative (soziale) Markierung • Dialekt sprechen = „sich outen“ • Dialekt = Sprecher sozial niederer Schicht • Unterschiedliche Wahrnehmung abhängig vom Dialekt • Kulturelle und gesellschaftliche Ursachen • Dialekt kann stereotypische Assoziationen hervorrufen • Rangordnung der Dialekte: • Sächsisch „unbeliebt“ => diastratische Assoziation („dumm“, ungebildet usw.) Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  20. Dialekt-Rangliste: Deutsche mögen Sächsisch nichtSächsisch ist der unbeliebteste Dialekt in Deutschland, noch vor Berlinerisch und Kölsch. Überraschend gut können die Bundesbürger dagegen Bayerisch leiden - doch die populärste Mundart kommt nicht aus dem Südosten, wie eine aktuelle Umfrage zeigt. Wer Sächsisch spricht, hat es manchmal schwer: Mal bucht man Bordeaux statt Porto, und im Rest Deutschlands meinen vermeintliche Sprachgenies, schlecht imitiertes Sächsisch sei ein brillanter Partygag. Und nun müssen die Sachsen auch noch eine andere traurige Nachricht hinnehmen: Ihr Dialekt ist der unbeliebteste in Deutschland. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov hervor, für die im September 1048 Bundesbürger befragt wurden. Demnach bezeichnen nur acht Prozent aller Deutschen Sächsisch als ihren Lieblings-Dialekt. Ebenfalls nicht viel besser wurden Berlinerisch (11 Prozent) und Kölsch (13 Prozent) bewertet. Mit den Dialekten im Norden und Süden können sich die Deutschen dagegen am meisten anfreunden: Bayerisch mögen 27 Prozent der Befragten am liebsten, noch besser gefällt den Deutschen nur noch Norddeutsch. Die Mundart, wie sie zum Beispiel Hamburger sprechen, ist der Liebling von 29 Prozent. Ein etwas anderes Bild bietet sich, unterscheidet man zwischen Ost- und Westdeutschen. Wenig überraschend stehen im Osten Deutschlands Sächsisch und Berlinerisch hoch im Kurs, im Westen sind es dagegen Bayerisch und Kölsch. Nur bei Norddeutsch waren sich offenbar alle einig. http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/dialekte-saechsisch-ist-unbeliebteste-mundart-der-deutschen-a-859108.html [2.10.2012] Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  21. Dialekt vs. Soziolekt • Striktes Raumkonzept funktioniert nicht mehr aufgrund der sozialen Mobilität • Soziale Gruppe geht an einen Ort (z. B. Reiche/Arme ziehen in ein bestimmtes Stadtviertel, Zuwanderer lassen sich an einem bestimmten Ort nieder) • Relativierung des unidimensionalen Raumkonzepts • Diastratische Dimension muss in der Diatopie immer mit berücksichtigt werden Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  22. Sekundäre Dialekte, Standardvarietät und tertiäre Dialekte Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  23. Diatopische Dimension nach Coseriu (1980) Primärer Dialekt Gemeinsprache Sekundäre Dialekte Standardsprache Tertiäre Dialekte Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  24. Sekundäre Dialekte • Neue diatopische Differenzierungen der Gemeinsprache • spanische Gemeinsprache (Kastilisch) • Andalusisches Spanisch • Kanarisches Spanisch • Lateinamerikanisches Spanisch • französische Gemeinsprache • françaisrégionaux (Frankreich, z.b. françaisrégional du Midi) • Belgisches Französisch • Schweizer Französisch • Kanadisches Französisch Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  25. Standardvarietät • Coseriu spricht von Standardsprache • „das Exemplarische einer Sprache“ (1980: 113) • eine Form der Gemeinsprache, die zur soziokulturellen Norm erhoben wird • d.h. eine Form der Gemeinsprache wird als Standardvarietät festgelegt • wird an den verschiedenen geographischen Orten/Gegenden unterschiedlich realisiert: neue diatopische Unterschiede • Differenz nicht so groß, dass Verständigung unmöglich wird

  26. Standardvarietät • Kann räumlichen Ursprung haben, aus gesprochener Varietät hervorgehen • z. B. Französisch der Île de France (offizielle Normung im 17. & 18. Jht.) • z. B. Spanische Madrids (offizielle Normung im 18. Jht.) • z. B. Englische Londons (keine offizielle Normung) • Kann aber auch „künstlich“ geschaffen werden (z. B. auf der Basis geschriebener Sprache) • z. B. Katalanisch (offizielle Normung Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jhts.) • z. B. Baskisch „euskarabatua“ (offizielle Normung im 20. Jht.) Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  27. Standardsprache(n) und präskriptive Normen […] daß Standards und präskriptive Normen […], also gewissermaßen ‚Kunstsprachen‘ sind, die zwar eine regionale Basis haben, aber deren ‚Ort‘ zunächst einmal die Literatur ist (Lebsanft 2004: 213, Fn. 6). => Literatur als primärer Ort der Realisierung des Standards bzw. der präskriptiven Normen Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  28. Standardvarietät • Der Standard (des Spanischen) ist eine Sprachform: „die keine (oder keine starke) diatopische Markierung (mehr) trägt, die diastratisch relativ hoch angesetzt ist und höheren diaphasischen Registern zugeordnet werden kann“ (Oesterreich 2001: 294). => Mehr oder weniger unmarkierte Sprachform Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  29. Tertiäre Dialekte • diatopische Unterschiede in der Realisierung der Standardvarietät, z.B. • andalusische Form der Standardvarietät (≠ Madrid) • bayrische Form der Standardvarietät (≠ Niedersachsen) • Standardvarietät des Französischen bei Sprechern aus dem Midi, Alsace, Lorraine usw. (≠ Île de France)

  30. Als was ist das Spanische in den zweisprachigen Regionen (z. B. in Katalonien) zu interpretieren? • Als sekundärer Dialekt? • Als tertiärer Dialekt? • Als etwas vollkommen anderes? Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  31. Beispiel Katalonien • Modell Coserius ist idealisierend: • Übergang primärer zu sekundären Dialekte • Übergang sekundärer zu tertiären Dialekte • Bestimmte Faktoren bleiben unberücksichtigt • Sprachkontakt • Aufeinandertreffen von einem Primärdialekten und einem Sekundärdialekt, die Interaktion zwischen einem Sekundärdialekt und Tertiärdialekt, Aufeinandertreffen verschiedener tertiärer Dialekte (Sinner 2001: 13; 2011: 63). Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  32. Beispiel Katalonien • Vielzahl unterschiedlich konstituierter Varietäten treten in Kontakt • Zusammentreffen mit unterschiedlichen Varietäten des Katalanischen • Problematisch von EINEM tertiären Dialekt des Kastilischen = katalanische Varietät zu sprechen (tertiärer Dialekt = regionale Realisierung der soziokulturellen Norm / Standardsprache) • Faktoren: zunehmende Beschulung, Ausweitung des Einflusses der Zentralregierung, Maßnahmen zur Unterdrückung des Katalanischen, massive Immigration im 20. Jht. (hauptsächlich die niedrigsten sozialen Schichten, aber auch Verwaltung, Bank, Polizei, Staatsverwaltung) Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  33. Beispiel Katalonien • Zuwanderer v.a. Sprecher eines sekundären Dialekts des Kastilischen (Andalusisch) in regionalen Ausprägungen (Almería, Córdoba, Granada, Jaén, Sevilla) • Auch Sprecher aus Extremadura, Galicien, Valencia, Murcia, Aragón, Baskenland • Kategorisierung der Sprechergruppen nach Coseriu (Sinner 2001: 15): • Sprecher der Standardsprache (sekundärer Dialekt des Kastilischen als Gemeinsprache, der als sozio-kulturelle Norm gilt) • Sprecher eines regionalen – sekundären – Dialekts (Andalusier, Kanarier usw.) • Sprecher eines tertiären Dialekts des Kastilischen als Gemeinsprache (Sprecher des andalusischen, madrilenischen, extremeñischen usw. als regionalen Standard) • Sprecher sekundärer und tertiärer Dialekte anderer historischer Sprachen (Galicisch, Baskisch, Katalanisch) mit unterschiedlicher Beherrschung eines sekundären oder tertiären Dialekts des Kastilischen • Monolinguale Sprecher von Varietäten des Kastilischen, gesprochen wie in den zweisprachigen Regionen Spaniens Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  34. Beispiel Katalonien • Keine Homogenität innerhalb des katalonien gesprochenen Kastilisch • Kastilisch seit Jahrhunderten Familiensprache • Kastilisch nur Schulsprache (so gut wie keine andere Domäne) Kastilisch in Katalonien • Kein primärer Dialekt • Kein sekundärer Dialekt des Kastilischen • Kann auch nicht lediglich auf der Ebene des tertiären Dialekts erfasst werden (keine regionale Realisierung des Standards) • Standardsprache (Vorbildfunktion) trifft mit von einwandernden Kastilischmuttersprachlern gesprochenen sekundären und tertiären Dialekten und den Varietäten des Kastilischen der Zuwanderer aus zweisprachigen Regionen zusammen (Sinner 2001: 16) Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  35. Sprache vs. Dialekt • Lüdtke (2001): • […] weil die Sprecher letztlich darüber entscheiden, was eine „Sprache“ ist […]. • Eine […] Sprache ist eine Sprache, die die Sprecher als solche anerkennen. Sie erkennen sie an, indem sie ihr einen Namen geben: „languefrançaise“, „lenguaespañola“ oder „castellana“ […]. • Unter den romanischen Sprachen erkennen die Sprecher in dieser Weise ganz fraglos Sprachen an, die zugleich Standardsprachen und Sprachen von Nationalstaaten sind […]. • Solchen Standardsprachen von Nationalstaaten werden ferner Sprachen zugeordnet, die außerhalb eines Nationalstaats gesprochen werden, wenn sie keine eigene Standardsprache herausgebildet haben (Dakorumänisch und Istrorumänisch zu Rumänisch) Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  36. Sprache vs. Dialekt • Daß Standardsprachen als Nationalsprachen von Nationalstaaten entstanden sind, schließt nicht aus, daß es Nationalstaaten gibt, in denen eine primäre identitätsstiftende Nationalsprache eines anderen Nationalstaates ebenfalls verwendet wird (z.B. hispanoamerikanische Staaten). • Ihre Identität als Nationalstaaten müssen diese Staaten daher auch noch auf anderem Wege finden. • Es entstehen aber auch Standardsprachen innerhalb von Nationalstaaten mit anderen Sprachen, die deshalb dann selbst keine Eigenstaatlichkeit haben (Katalanisch, Baskisch) • [Manchmal bildet sich einen] allen Gebieten gemeinsame kodifizierte Standardsprache heraus [….], ohne daß die Sprecher all dieser Gebiete das Bewußtsein einer sprachlichen Gemeinsamkeit hätten. Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  37. Sprache vs. Dialekt • Eine romanische Sprache wird von ihren Sprechern nicht primäre durch ihren Abstand zu anderen romanischen Sprachen abgegrenzt. „Abstand“ bedeutet die Zahl der Merkmale, die eine Sprache von einer anderen unterscheidet. • […] so waren es im wesentlichen außersprachliche Bedingungen, die eine ehemals kleinräumig verbreitete Sprache zu einer Standardsprache werden ließen. • Weil sich eine romanische Sprache nur durch ihre Geschichte als eigene Sprache bestimmen läßt und diese Geschichte in den verschrifteten Sprachen Europas, nicht nur der romanischen, zu Standardsprachen oder zu Sprachen geführt hat, die auf dem Wege der Standardisierung sind […]. Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  38. Sprache vs. Dialekt • Ausgangspunkt: Standardisierung • Standardisierung [darf] nicht nur von denen vertreten [werden], die sie vorschlagen. Sie muss von anderen Sprechern anerkannt und übernommen werden. • Anerkennung einer Sprache als Standardsprache ohne jede Einschränkung. Wir stellen in ihrer Geltung viele Abstufungen fest. • Die Anerkennung ist eine politische Frage • Kriterium der eingeschränkten Anerkennung einer kodifizierten Standardsprache durch ihre Sprecher Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  39. Sprache vs. Dialekt • Als maßgeblich sind in dieser wie in allen anderen Fragen die Sprecher anzusehen. • … das, was sie als Sprecher tun.Für das jeweilige Sprechen des einzelnen gibt es den Unterschied zwischen Sprache und Dialekt nicht. […] Etwas anderen ist es, ob das Sprechen des einzelnen einer anderen Sprache zu- oder untergeordnet wird. In diesem Fall können Sprecher ihre Sprache entweder als eigene historische Sprache betrachten oder aber sie einer anderen Sprache unterordnen. • Aus der Sprecherperspektive: Kriterium: wie die Sprecher eine Sprache zuordnen (z.B. Galicisch zum Spanischen oder zum Portugiesische oder als eigene Sprache betrachten) Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  40. Sprache vs. Dialekt • Das Okzitanisch […] kennt neben einer Vielzahl von Dialekten eine kodifizierte Standardsprache, die aber die meisten Sprecher nicht beherrschen. • Neuere romanische Sprachen: Die Sprecher kennen oft nicht die Kodifizierungsbemühungen oder sehen keinen Sinn darin. • Eine romanische Sprache ist eine kodifizierte Standardsprache, die eine Fortsetzung des Lateins ist. • Sprachen finden bei ihren Sprechern eine sehr unterschiedliche Anerkennung • Kriterien: Standardsprache und Kodifizierung • Die Standardisierung ist Ausdruck einer Identität, deren Grundlage wir in der Geschichte der jeweiligen Sprachgemeinschaft suchen müssen. Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  41. Polyzentrische Standardsprachen • Kloss (1976: 310): • d.h. den Fällen, wo wir zwei Varietäten der gleichen Standardsprache haben, die beide auf den [sic] gleichen Dialekt oder zwei ganz eng verwandten Dialekten beruhen. Solche polyzentrischen Standardsprachen finden wir dort, wo eine Sprache in zwei oder mehr räumlich getrennten Staaten vorherrscht – man vgl. z.B. amerikanisches und britisches Englisch oder den eben genannten Fall des Portugiesischen in Europa und Südamerika – ferner dort, wo politische Umstände dazu geführt haben, daß sich in zwei benachbarten Gebieten zwei schriftsprachliche Spielarten der gleichen Sprache herausgebildet haben wie beim Serbischen und Kroatischen, beim Rumänischen und Moldawanischen, und jüngestens bei Deutschen der Bundesrepublik und der DDR. Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  42. Polyzentrische Standardsprache Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  43. Ausbausprache • [Tschechisch und Slowakisch sind] zwei Ausbausprachen, die nicht zugleich Abstandsprachen sind. Ihnen liegen Dialekte zugrunde, deren Sprecher, gehörten sie einer schriftlosen Gesellschaft an, von den Linguisten sicherlich als Angehörige einer einzigen Sprachgemeinschaft betrachtet werden würden. Sie haben aber stattdessen zwei literarische Standardvarietäten geschaffen, die auf unterschiedlichen Dialekten beruhen und daher durchgehende Verschiedenheiten aufweisen […] Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  44. Bibliographie Coseriu, Eugenio (1980): 'Historische Sprache' und 'Dialekt'. In: Joachim Göschel / Pavle Ivic / Kurt Kehr (Hrsg.). 106-122 [Wieder erschienen 1988a in: Jörn Albrecht et al. (Hrsg.). Bd. 1. 45-61.]. Coseriu, Eugenio (1976): Das romanische Verbalsystem. Tübingen: TBL. Göschel, Joachim / Norbert Nail / Gaston Van der Elst (Hrsg.) (1976): Zur Theorie des Dialekts. Aufsätze aus 100 Jahren Forschung mit biographischen Anmerkungen zu den Autoren. Wiesner: Steiner. Haas, Walter (2011): „Ist Dialektologie Linguistik?“. In: Elvira Glaser / Jürgen Erich Schmidt / Natascha Frey (Hrsg.): Dynamik des Dialekts -- Wandel und Variation. Akten des 3. Kongresses der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen (IGDD). Stuttgart: Steiner, 9-22. Kloss, Heinz (1976): „Abstandsprachen und Ausbausprachen“. In: Göschel / Nail / Van der Elst (Hrsg.). 301-322. Lebsanft, Franz (2004): Plurizentrische Sprachkultur in der spanischsprachigen Welt, in: Alberto Gil, Dietmar Osthus, Claudia Polzin-Haumann (Hgg.), Romanische Sprachwissenschaft. Zeugnisse für Vielfalt und Profil eines Faches. Festschrift für Christian Schmitt zum 60. Geburtstag, Frankfurt a. M. 2004, S. 205-220. Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  45. Bibliographie Lüdtke, Jens (2001): Die romanischen Sprachen. Unter: http://www.latinistik.de/linguae/linguae.htm Oesterreicher, Wulf (2000): „Plurizentrische Sprachkultur – der Varietätenraum des Spanischen“. Romanistisches Jahrbuch 51,287–318. Pöll, Bernhard (2005): Le françaislanguepluricentrique? Étudessur la variationdiatopiqued‘unelanguestandard. Frankfurt a.M u.a.: Peter Lang. Sinner, Carsten (2011): „Artikel 8: Varietäten des Spanischen: Europa“, in: Joachim Born / Robert Folger / Christopher F. Laferl / Bernhard Pöll (Hrsg.) (2011): Handbuch Spanisch. Sprache, Literatur, Geschichte in Spanien und Hispanoamerika. Für Studium, Lehre, Praxis. Berlin: Erich Schmidt Verlag, 62-72. Sinner, Carsten (2001): „Zur Terminologie in der Sprachkontaktforschung: Bilinguismus und Diglossie, Interferenz und Integration sowie tertiärer Dialekt“. In: Gerda Haßler (Hrsg.) (2001): Sprachkontakt und Sprachvergleich. Münster: Nodus, S. 125-152. Spiegel (2012) = http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/dialekte-saechsisch-ist-unbeliebteste-mundart-der-deutschen-a-859108.html [2.10.2012]. Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  46. (Warum) Ist das amerikanische Spanisch ein sekundärer Dialekt des Kastilischen? • Ist das amerikanische Englisch ein sekundärer Dialekt des britischen Englisch? • Kann das Modell von Coseriu auf das Englische (das Portugiesische, das Französische usw.) übertragen werden? Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  47. Entwicklung des Spanischen in Lateinamerika • Nach Pöll (2005: 65-79) • Eroberung in drei Etappen: • Antillen (1492-1520) • Mexiko (1520-1531) = NuevaEspaña • Peru (1531-1556) = NuevaCastilla (Kolumbien, Ecuador, Bolivien, Chile usw.) • Hauptgruppe der Einwanderer: Andalusier => andalusische Merkmale z. B. seseo=> besonders dominant z.B. in der Karibik=> weniger wichtig z.B. im Andenraum • Herausbildung einer eigenen Koiné (ab ca. 1650) mit bestimmten Merkmalen • Geographische Unterschiede aufgrund mehr oder weniger intensivem Kontakt mit der Hauptstadt, z.B. in Lima oder Mexiko=> weniger Einwanderer aus dem Süden=> Re-Kastilisierung durch Einwanderer in diesen Gebieten=> starke literarische Aktivität=> unterschiedlicher Einfluss durch Substrat indigener Sprachen Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  48. Entwicklung des Spanischen in Lateinamerika • Bis 1770 keine Sprachpolitik, die Verbreitung des Spanischen vorsieht • Ab 1770 (Carlos III): Modell des Spanischen ist das der Real AcademiaEspañola(RAE)=> Standard auf der Basis des madrilenischen Dialekts • Mit Unabhängigkeitsbestrebungen: Aufwertung bestimmter regionaler Merkmale (z.B. seseo, yeísmo) • Versuche sich vom spanischen Standard zu distanzieren, z. B. in Chile (Orthographiereform) • Gegenbeispiel: Andrés Bello => sucht mit seiner Grammatik die Einheit des Spanischen zu bewahren: hablaculta (Gebrauch der gebildeten Menschen) mit regionalen Elementen Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  49. Entwicklung des Spanischen in Lateinamerika • Ausgründungen von assoziierten Akademien zw. 1871 und 1943 • Unterschiedliche Positionen darüber, wie viel Regionales die Norm / Standardvarietät haben darf (Amado Alonso & Henríquez Ureña: hablaculta= korrekt vs. Cuervo: größere Konformität mit spanischer Norm) • Mitte des 20. Jhts.: Prozess der Legitimierung des amerikanischen Spanisch beginnt • Die formellsten Varietäten der hispanophonen Länder erlangen den Status von Standardvarietäten => normascultasnacionales • Forschungsinteresse daran entsteht • Pöll geht von 3 Arten des Standards / der Normen aus • Nationale Normen: Merkmale, die im Spanischen eines Landes auftreten und prestigereich sind: diatopisch nicht markierter Standard (z. B. bus in Kolumbien, ómibus in Uruguay) • Regionale Normen: umfasst verschiedene Staaten: urbane Zentren als Mittelpunkt, die ausstrahlen (z. B. Río de la Plata m. Buenos Aires; Anden m. Lima u. Bogotá; Mittelamerika m. Mexiko) • Hispanoamerikanische Norm: in bestimmten Lebensbereichen: hispanoamerikanische Uniformität im Sprachgebrauch der gebildeten Menschen (z. B. im Bereich ELE, Medien u. Filmindustrie) (cf. Lebsanft 2004) Christine Paasch - Varietätenlinguistik

  50. Entwicklung des Spanischen in Lateinamerika • Besonderheiten des spanischen Plurizentrismus Christine Paasch - Varietätenlinguistik

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