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Geschichte des deutschen Romans v om Barock bis zur Gegenwart

Geschichte des deutschen Romans v om Barock bis zur Gegenwart Friedrich-Schiller-Universität Jena, Sommersemester 2013 Prof. Dr. Tom Kindt. Geschichte des Romans Sommersemester 2013. Der Roman des Realismus Romantik als Bezugspunkt – Anschluss und Abgrenzung

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Geschichte des deutschen Romans v om Barock bis zur Gegenwart

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  1. Geschichte des deutschen Romans vom Barock bis zur Gegenwart Friedrich-Schiller-Universität Jena, Sommersemester 2013 Prof. Dr. Tom Kindt

  2. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Romantik als Bezugspunkt – Anschluss und Abgrenzung • Verpflichtung des Dichters auf die ‚Realität‘, nicht im Sinne einer simplen ‚Abbildungs-poetik‘, sondern im Sinne einer reflektier-ten poetischen ‚Realitätskonstruktion‘ • leitend ist die idealistische Ästhetik: Ziel ist die Freilegung des Ideellen im Realen; es geht um eine idealisierte Repräsentation der Welt, um ‚das schöne Wesen als er-höhtes Spiegelbild des Gegenstands‘ (Otto Ludwig) • realistische Literatur mit Realitäts- und Ordnungs- bzw. Orientierungsanspruch

  3. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Spannung zwischen Programm und Praxis, z.B. in der Fortführung des Musters ‚Bildungs-roman‘ • Gottfried Keller, Der grüne Heinrich (1. Fas-sung 1854/55) • Werdegang Heinrich Lees; Einstieg, über Ana-lepsen eingeholt, in der Kindheit; Bildungs-geschichte nach dem Modell der Lebensreise: Verlassen des Herkunftsraums mit dem Ziel, Künstler zu werden; Bildungsgeschichte als Geschichte eines Scheiterns (in der Liebe, in der Kunst, im Leben etc.) • Variante des Bildungs- bzw. Entwicklungs-romans, die nach Lukács als ‚Desillusions-roman‘ bezeichnet wird

  4. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Gottfried Keller, Der grüne Heinrich (1. Fas-sung 1854/55) • „Die Moral meines Buches ist: daß derjenige, dem es nicht gelingt, die Verhältnisse seiner Person und seiner Familie im Gleichgewicht zu erhalten, auch unbefähigt sei, im staatlichen Leben eine wirksame und ehrenvolle Stellung einzunehmen. Die Schuld kann in vielen Fällen an der Gesellschaft liegen, und alsdann wäre freilich der Stoff derjenige eines sozialistischen Tendenz-buches. Im gegebenen Falle aber liegt sie größ-tenteilsim Charakter und dem besonderen Ge-schicke des Helden und bedingt hierdurch eine mehr ethische Bedeutung des Romans.“ (Keller, Brief von 1860)

  5. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Spannung zwischen Programm und Praxis, z.B. in der Fortführung des Musters ‚Bildungs-roman‘ • Gottfried Keller, Der grüne Heinrich (2. Fas-sung 1879/80) • Perspektiv- und ordnungsbezogene Umschrei-bung des Romans; Änderung des Roman-schlusses; von einem radikal zu einem mo-derat desillusionierenden Finale

  6. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Gottfried Keller, Der grüne Heinrich (2. Fas-sung 1879/80) • „Sie starb, als eine verderbliche Kinderkrankheit herrschte und sie sich mit ihren hilfsbereiten Händen in eine ratlose Behausung armer Leute stürzte, die mit kranken Kindern angefüllt und von den Ärzten abgesperrt war. Sonst hätte sie leicht noch zwanzig Jahre leben können und wäre ebensolang mein Trost und meine Freude gewe-sen. • Ich hatte ihr einst zu ihrem großen Vergnügen das geschriebene Buch meiner Jugend geschenkt. Ihrem Willen gemäß habe ich es aus dem Nach-laßwiedererhalten und den andern Teil dazu-gefügt, um noch einmal die alten grünen Pfade der Erinnerung zu wandeln.“

  7. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Verpflichtung des Dichters auf die ‚Realität‘, nicht im Sinne einer simplen ‚Abbildungs-poetik‘, sondern im Sinne einer reflektierten poetischen ‚Realitätskonstruktion‘ • Ordnungsprobleme führen zur Reflexion und Innovation der Vermittlungsebene erzählender Literatur • Zwei Tendenzen: (1) Subjektivierung; (2) Objek-tivierung – gemeinsamer Effekt: analytische statt ideologische Orientierung der Texte

  8. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Zwei Tendenzen: (1) Subjektivierung; (2) Objek-tivierung – gemeinsamer Effekt: analytische statt ideologische Orientierung der Texte • Zu (1): Novelle • Markierung der Vermitteltheit von Realität, vor allem durch eine mehrschichtige bzw. ver-schachtelte Präsentation der tendenziell ein-strängigen Handlungen, z.B. durch zyklische Präsentationsform oder spezifische Komposi-tionsweise • Beispiel: Storms „Der Schimmelreiter“ (1888)

  9. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Zu (1): Novelle • Storms „Der Schimmelreiter“ (1888)

  10. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Zu (1): Novelle • Storms „Der Schimmelreiter“ (1888) • „Was ich zu berichten beabsichtige, ist mir vor reichlich einem halben Jahrhundert im Hause mei-nerUrgroßmutter, der alten Frau Senator Fedder-sen, kund geworden, während ich, an ihrem Lehn-stuhl sitzend, mich mit dem Lesen eines in blaue Pappe eingebundenen Zeitschriftenheftes be-schäftigte; ich vermag mich nicht mehr zu ent-sinnen, ob von den ‚Leipziger‘ oder von ‚PappesHamburger Lesefrüchten‘ (…) • Es war im dritten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts, an einem October-Nachmittag – so begann der damalige Erzähler – als ich bei starkem Unwetter auf einem nordfriesischen Deich entlang ritt.“

  11. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Zu (1): Novelle • Storms „Der Schimmelreiter“ (1888) • „‚Erzählt, erzählt nur, Schulmeister‘, riefen ein paar der Jüngeren aus der Gesellschaft. ‚Nun freilich‘, sagte der Alte, sich zu mir wendend, ‚will ich gern zu Willen sein; aber es ist viel Aberglaube dazwi-schen, und eine Kunst, es ohne diesen zu erzäh-len.‘ ‚Ich muß Euch bitten, den nicht auszulassen‘, erwiderte ich; ‚traut mir nur zu, daß ich schon selbst die Spreu vom Weizen sondern werde!‘ • Der Alte sah mich mit verständnißvollem Lächeln an. ‚Nun also!‘ sagte er. ‚In der Mitte des vorigen Jahrhunderts, oder vielmehr, um genauer zu be-stimmen, vor und nach derselben, gab es hier einen Deichgrafen, der von Deich- und Sielsachen mehr verstand, als Bauern und Hofbesitzer sonst zu verstehen pflegen…“ • “

  12. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Zu (1): Novelle • Storms „Der Schimmelreiter“ (1888) • „Der Erzähler schwieg (…). ‚Das ist die Geschichte von Hauke Haien‘, begann mein Wirth noch ein-mal, „wie ich sie nach bestem Wissen nur berich-tenkonnte. Freilich die Wirtschafterin unseres Deichgrafen würde sie Ihnen anders erzählt haben; denn auch das weiß man zu berichten: jenes weiße Pferdsgerippe ist nach der Fluth wiederum, wie vormals, im Mondschein auf Jevershallig zu sehen gewesen; das ganze Dorf will es gesehen haben. – So viel ist sicher: Hauke Haien mit Weib und Kind ging unter in dieser Fluth…“

  13. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Zu (1): Novelle • Storms „Der Schimmelreiter“ (1888) • Geschichte Hauke Haiens; Entwicklungsgang als Weg gesellschaftlichen Aufstiegs; Kampf ratio-naler Aufklärung gegen Gesellschaftsstrukturen, Aberglauben und Naturgewalt; Scheitern am Ende, Tod in der Flut • „Er allein hatte die Schwäche des alten Deichs erkannt; er hätte trotz alledem das neue Werk betreiben müssen. ‚Herr Gott, ja, ich bekenn es‘, rief er plötzlich laut in den Sturm hinaus, ‚ich hab meines Amtes schlecht gewaltet! (…) ‚Das ist das Ende!‘ sprach er leise vor sich hin; dann ritt er an den Abgrund, wo unter ihm das Wasser (…) sein Heimatdorf zu überfluten begannen…“

  14. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Zu (1): Novelle • Storms „Der Schimmelreiter“ (1888) • Geschichte Hauke Haiens; Entwicklungsgang als Weg gesellschaftlichen Aufstiegs; Kampf ratio-naler Aufklärung gegen Gesellschaftsstrukturen, Aberglauben und Naturgewalt; Scheitern am Ende, Tod in der Flut • „Er richtete sich hoch auf und stieß dem Schimmel die Sporen in die Weichen; das Tier bäumte sich, es hätte sich fast überschlagen; aber die Kraft des Mannes drückte es herunter. ‚Vorwärts!‘ rief er noch einmal, wie er es so oft zum festen Ritt ge-rufen hatte. ‚Herr, Gott, nimm mich; verschon die andern!‘“

  15. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Zu (1): Novelle • Storms „Der Schimmelreiter“ (1888) • Geschichte Hauke Haiens; Entwicklungsgang als Weg gesellschaftlichen Aufstiegs; Kampf ratio-naler Aufklärung gegen Gesellschaftsstrukturen, Aberglauben und Naturgewalt; Scheitern am Ende, Tod in der Flut; ideologischer und onto-logischer Urteilsverzicht des Erzählers; Reflexion des Ordnungs- und Orientierungsanspruchs des poetischen Realismus; skeptische Haltung der Erzählung zu Tradition und Modernisierung

  16. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • (1) Subjektivierung, z.B. Novellen wie „Der Schim-melreiter“ • (2) Objektivierung, z.B. Romane wie Flauberts Madame Bovary (1856) • Lebensgeschichte im Kontext eines Sittenge-mäldes; Problematisierung bürgerlicher Lebens-wirklichkeit statt Einübung in bürgerliche Wert-vorstellungen • zugleich Roman über die Wirkung von Roma-nen; Emma Bovary als ‚Schwester Don Quijotes‘ • „Immer wieder sagte sie sich: Ich habe einen Ge-liebten! Einen Geliebten! Und diese Vorstellung beseligte sie, als wäre sie zum zweitenmal zur Frau geworden. Endlich sollten also auch ihr die Freuden der Liebe zuteil werden, sollte sie jenes selige Fieber kennenlernen, auf das sie für immer Verzicht geleistet hatte…“

  17. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • (1) Subjektivierung, z.B. Novellen wie „Der Schim-melreiter“ • (2) Objektivierung, z.B. Romane wie Flauberts Madame Bovary (1856) • Lebensgeschichte im Kontext eines Sittenge-mäldes; Problematisierung bürgerlicher Lebens-wirklichkeit statt Einübung in bürgerliche Wert-vorstellungen • zugleich Roman über die Wirkung von Roma-nen; Emma Bovary als ‚Schwester Don Quijotes‘ • „Dann dachte sie wieder an die Heldinnen der Ro-mane, die sie gelesen hatte, und die gefühlvolle Schar dieser Ehebrecherinnen sang in ihrem Ge-dächtnis mit schwesterlichen Stimmen, die sie be-zauberten. Sie wurde selbst gleichsam ein lebendi-ger Teil dieser Phantasiebilder, und die langen Träu-mereien ihrer Jugendzeit wurden Wirklichkeit…“

  18. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • (1) Subjektivierung, z.B. Novellen wie „Der Schim-melreiter“ • (2) Objektivierung, z.B. Romane wie Flauberts Madame Bovary (1856) • Lebensgeschichte im Kontext eines Sittenge-mäldes; Problematisierung bürgerlicher Lebens-wirklichkeit statt Einübung in bürgerliche Wert-vorstellungen • Innovation der erzählerischen Vermittlung im Zeichen einer Poetik der Neutralität • „L’auteur, danssonœuvre, doitêtrecommeDieudansl’univers, présent partout et visible nulle part.“ (Flaubert, Brief 1952) • -> ‚impersonnalité‘, ‚impassibilité‘, ‚impartialité‘ • -> (a) Erzählermodellierung, (b) Perspektivge- • staltung

  19. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 Der Roman des Realismus (2) Objektivierung, z.B. Romane wie Flauberts Madame Bovary (1856) -> (a) Erzählermodellierung „Wir saßen an unseren Aufgaben. Da trat der Direk-tor ein, hinter ihm ein Neuer, noch im gewöhnli-chen Alltagsanzug, und ein Schuldiener mit einem großen Pult. Wer vor sich hindöste, wurde wach, und alle sprangen auf, als wären sie mitten im Arbeiten aufgestört worden. (…) Wir warfen gewöhnlich beim Betreten der Klasse unsere Mützen auf den Boden, um nachher die Hände freizuhaben. (…) Doch sei es nun, daß er diesen Vorgang nicht beobachtet oder sich nicht getraut hatte, es ebenso zu machen, jedenfalls war das Gebet schon zu Ende gesprochen, und der Neue hielt noch immer seine Mütze auf den Knien.“

  20. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 Der Roman des Realismus (2) Objektivierung, z.B. Romane wie Flauberts Madame Bovary (1856) -> (a) Erzählermodellierung „Abends im Arbeitssaal (…). Wir sahen, wie er gewissenhaft arbeitete, jedes Wort im Wörterbuch nachschlug und sich redliche Mühe gab. (…) Sein Vater Charles-Denis-Bartholomé Bovary, ein ehemaliger Bataillonsarzt, war um 1812 wegen ir-gendwelcher Machenschaften bei den Aushebun-gen ins Gerede gekommen und hatte den Dienst quittieren müssen…“

  21. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • (2) Objektivierung, z.B. Romane wie Flauberts Madame Bovary (1856) • -> (a) Erzählermodellierung • Unscharfe Anlage zwischen Homo- und Hetero-diegese; Erzähleinstieg als unbeteiligter Beo-bachter, Entwicklung zum epistemisch unein-geschränkten, aber normativ zurückhaltenden Erzähler; Erzählausgang mit angedeuteter Rück-kehr zur Berichtsfiktion • „‚Papa, komm doch!“ sagte das Kind. Da sie glaub-te, er wolle mit ihr spielen, stieß sie ihn sanft an. Da fiel er zu Boden. Er war tot. (…) • Seit Bovarys Tod haben nacheinander drei Ärzte in Yonville praktiziert, doch keiner hat Fuß fassen können. Homais hat sie alle aus dem Feld geschlagen…“

  22. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • (2) Objektivierung, z.B. Romane wie Flauberts Madame Bovary (1856) • -> (a) Erzählermodellierung • Unscharfe Anlage zwischen Homo- und Hetero-diegese; Erzähleinstieg als unbeteiligter Beo-bachter, Entwicklung zum epistemisch unein-geschränkten, aber normativ zurückhaltenden Erzähler; Erzählausgang mit angedeuteter Rück-kehr zur Berichtsfiktion • „Er hat einen unheimlichen Zulauf. Die Behörden drücken beide Augen zu, und die öffentliche Mei-nung ist auf seiner Seite. • Vor kurzem hat er das Kreuz der Ehrenlegion er-halten.“

  23. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • (2) Objektivierung, z.B. Romane wie Flauberts Madame Bovary (1856) • -> (a) Erzählermodellierung, (b) Perspektivgestal- • tung • (variable) interne Fokalisierung; neuartige Aus-gestaltung dieser Fokalisierungsvariante durch fehlende normative Erzählerrahmung und inten-sive Nutzung von Überlagerungsformen der Erzähler- mit der Figurenrede, insbesondere erlebte Rede • Distanz: • Geringe Distanz Hohe Distanz • Dramatischer Modus ------------------------------------ Narrativer Modus • (‚zeigen‘) (‚sagen‘) • Zitierte ------------------------transponierte-------------erzählte Gedanken)Rede

  24. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • (2) Objektivierung, z.B. Romane wie Flauberts Madame Bovary (1856) • -> (a) Erzählermodellierung, (b) Perspektivgestal- • tung • (variable) interne Fokalisierung; neuartige Aus-gestaltung dieser Fokalisierungsvariante durch fehlende normative Erzählerrahmung und inten-sive Nutzung von Überlagerungsformen der Erzähler- mit der Figurenrede, insbesondere erlebte Rede • „Oft, wenn Charles ausgegangen war, holte Emma aus dem Schrank (…) die grünseidene Zigarren-tasche. Sie betrachtete sie, klappte sie auf und roch sogar am Futter (…). Wem gehörte sie?... Dem Vicomte. Vielleicht ein Geschenk seiner Geliebten. Gewiß hatte sie die Stickerei auf einem Rahmen aus Palisanderholz angefertigt…“

  25. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • (2) Objektivierung, z.B. Romane wie Flauberts Madame Bovary (1856) • -> (a) Erzählermodellierung, (b) Perspektivgestal- • tung • (variable) interne Fokalisierung; neuartige Aus-gestaltung dieser Fokalisierungsvariante durch fehlende normative Erzählerrahmung und inten-sive Nutzung von Überlagerungsformen der Erzähler- mit der Figurenrede, insbesondere erlebte Rede • „Und dann hatte der Vicomte eines Morgens die Tasche mitgenommen. Worüber hatten sie wohl gesprochen, als sie noch auf den breitsimsigen Kaminen lag (…)?Jetzt war Emma in Tostes, und er lebte in Paris, weit fort! Wie war wohl dieses Paris? Welch übermächtiger Name! Sie sagte ihn mehrmals halblaut vor sich hin…“

  26. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Theodor Fontane: Effie Briest (1896) • Entwicklungsgeschichte, die ebenfalls über das Ehebruchsmotiv zu einem Gesellschaftsporträt wird; Roman als Medium der Sozioanalyse • „Ja, wenn ich voll tödlichem Haß gewesen wäre, wenn mir hier ein tiefes Rachegefühl gesessen hät-te… Rache ist nichts Schönes, aber was Mensch-lichesund hat ein natürlich menschliches Recht. So aber war alles einer Vorstellung, einem Begriff zuliebe, war eine gemachte Geschichte, eine halbe Komödie. Und diese Komödie muß ich nun fort-setzen und mußEffi wegschicken und sie ruinieren und mich mit.“

  27. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Theodor Fontane: Effie Briest (1896) • Entwicklungsgeschichte, die ebenfalls über das Ehebruchsmotiv zu einem Gesellschaftsporträt wird; Roman als Medium der Sozioanalyse • Verbindung von Objektivierungs- und Subjekti- vierungstechniken; eingeschränkte Auktorialität

  28. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Theodor Fontane: Effie Briest (1896) • Entwicklungsgeschichte, die ebenfalls über das Ehebruchsmotiv zu einem Gesellschaftsporträt wird; Roman als Medium der Sozioanalyse • Verbindung von Objektivierungs- und Subjekti- vierungstechniken; eingeschränkte Auktorialität • „Frau von Briest, sonst so kritisch, auch ihrem ei-genen geliebten Kinde gegenüber, nahm dies an-scheinend mangelnde Interesse nicht nur von der leichten Seite, sondern erkannte sogar einen Vor-zug darin. Alle diese Dinge, so sagte sie sich, be-deuten Effi nicht viel. Effi ist anspruchslos; sie lebt in ihren Vorstellungen und Träumen, und wenn die Prinzessin Friedrich Karl vorüberfährt und sie von ihrem Wagen aus freundlich grüßt, so gilt ihr das mehr als eine ganze Truhe voll Weißzeug…“

  29. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Theodor Fontane: Effie Briest (1896) • Entwicklungsgeschichte, die ebenfalls über das Ehebruchsmotiv zu einem Gesellschaftsporträt wird; Roman als Medium der Sozioanalyse • Verbindung von Objektivierungs- und Subjekti- vierungstechniken; eingeschränkte Auktorialität • „Das alles war auch richtig, aber doch nur halb. An dem Besitze mehr oder weniger alltäglicher Dinge lag Effi nicht viel, aber wenn sie mit der Mama die Linden hinauf- und hinunterging und nach Muste-rungder schönsten Schaufenster in den Demuth-schenLaden eintrat, um für die gleich nach der Hochzeit geplante italienische Reise allerlei Ein-käufe zu machen, so zeigte sich ihr wahrer Charak-ter. Nur das Eleganteste gefiel ihr…“

  30. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Theodor Fontane: Effie Briest (1896) • Entwicklungsgeschichte, die ebenfalls über das Ehebruchsmotiv zu einem Gesellschaftsporträt wird; Roman als Medium der Sozioanalyse • Verbindung von Objektivierungs- und Subjekti- vierungstechniken; eingeschränkte Auktorialität • „…und wenn sie das Beste nicht haben konnte, so verzichtete sie auf das Zweitbeste, weil ihr dies Zweite nun nichts mehr bedeutete. Ja, sie konnte verzichten, darin hatte die Mama recht, und in diesem Verzichtenkönnen lag etwas von Anspruchs-losigkeit; wenn es aber ausnahmsweise mal wirk-lichetwas zu besitzen galt, so mußte dies immer was ganz Apartes sein. Und darin war sie an-spruchsvoll.“

  31. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Theodor Fontane: Effie Briest (1896) • Entwicklungsgeschichte, die ebenfalls über das Ehebruchsmotiv zu einem Gesellschaftsporträt wird; Roman als Medium der Sozioanalyse • Verbindung von Objektivierungs- und Subjekti- vierungstechniken; eingeschränkte Auktorialität • „Alles, was uns Freude machen soll, ist an Zeit und Umstände gebunden, und was uns heute noch beglückt, ist morgen wertlos. Innstetten empfand das tief, und so gewiß ihm an Ehren und Gunstbe-zeugungen von oberster Stelle her lag, wenigstens gelegen hatte, so gewiß stand ihm jetzt fest, es käme bei dem glänzenden Schein der Dinge nicht viel heraus, und das, was man ‚das Glück‘ nenne, wenn‘s überhaupt existiere, sei was anderes als dieser Schein…“

  32. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Theodor Fontane: Effie Briest (1896) • Entwicklungsgeschichte, die ebenfalls über das Ehebruchsmotiv zu einem Gesellschaftsporträt wird; Roman als Medium der Sozioanalyse • Verbindung von Objektivierungs- und Subjekti- vierungstechniken; eingeschränkte Auktorialität • „‚Das Glück, wenn mir recht ist, liegt in zweierlei: darin, daß man ganz da steht, wo man hingehört (aber welcher Beamte kann das von sich sagen), und zum zweiten und besten in einem behaglichen Abwickeln des ganz Alltäglichen, also darin, daß man ausgeschlafen hat und daß die neuen Stiefel nicht drücken. Wenn einem die 720 Minuten eines zwölfstündigen Tages ohne besonderen Ärger vergehen, so läßt sich von einem glücklichen Tage sprechen.‘“

  33. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Theodor Fontane: Effie Briest (1896) • Entwicklungsgeschichte, die ebenfalls über das Ehebruchsmotiv zu einem Gesellschaftsporträt wird; Roman als Medium der Sozioanalyse • Verbindung von Objektivierungs- und Subjekti- vierungstechniken; eingeschränkte Auktorialität • „In einer Stimmung, die derlei schmerzlichen Be-trachtungen nachhing, war Innstetten auch heute wieder. Er nahm nun den zweiten Brief. Als er ihn gelesen, fuhr er über seine Stirn und empfand schmerzlich, daß es ein Glück gebe, daß er es gehabt, aber daß er es nicht mehr habe und nicht mehr haben könne.“

  34. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Theodor Fontane: Effie Briest (1896) • Entwicklungsgeschichte, die ebenfalls über das Ehebruchsmotiv zu einem Gesellschaftsporträt wird; Roman als Medium der Sozioanalyse • Verbindung von Objektivierungs- und Subjekti- vierungstechniken; eingeschränkte Auktorialität; zumeist szenisches, dialogisches Erzählen • „‚Da ist es doch besser so. Wie das nun wieder klingt. Du bist so sonderbar. Und daß du vorhin weintest. Hast du was auf deinem Herzen? Noch ist es Zeit. Liebst du Geert nicht?‘ • ‚Warum soll ich ihn nicht lieben? Ich liebe Hulda, und ich liebe Bertha, und ich liebe Hertha. Und ich liebe auch den alten Niemeyer. Und daß ich euch liebe, davon spreche ich gar nicht erst. Ich liebe alle, die‘s gut mit mir meinen und gütig gegen mich sind und mich verwöhnen…“

  35. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Theodor Fontane: Effie Briest (1896) • Entwicklungsgeschichte, die ebenfalls über das Ehebruchsmotiv zu einem Gesellschaftsporträt wird; Roman als Medium der Sozioanalyse • Verbindung von Objektivierungs- und Subjekti- vierungstechniken; eingeschränkte Auktorialität; zumeist szenisches, dialogisches Erzählen • „Und Geert wird mich auch wohl verwöhnen. Na-türlichauf seine Art. Er will mir ja schon Schmuck schenken in Venedig. Er hat keine Ahnung davon, daß ich mir nichts aus Schmuck mache. Ich klettere lieber, und ich schaukle mich lieber, und am liebs-tenimmer in der Furcht, daß es irgendwo reißen oder brechen und ich niederstürzen könnte. Den Kopf wird es ja nicht gleich kosten.‘“

  36. Geschichte des Romans Sommersemester 2013 • Der Roman des Realismus • Theodor Fontane: Effie Briest (1896) • Entwicklungsgeschichte, die ebenfalls über das Ehebruchsmotiv zu einem Gesellschaftsporträt wird; Roman als Medium der Sozioanalyse • Verbindung von Objektivierungs- und Subjekti- vierungstechniken; eingeschränkte Auktorialität; zumeist szenisches, dialogisches Erzählen • „‚Und liebst du vielleicht auch deinen Vetter Briest?‘ ‚Ja, sehr. Der erheitert mich immer.‘ • ‚Und hättest du Vetter Briest heiraten mögen?‘ • ‚Heiraten? Um Gottes willen nicht. Er ist ja noch ein halber Junge. Geert ist ein Mann, ein schöner Mann, ein Mann, mit dem ich Staat machen kann und aus dem was wird in der Welt. Wo denkst du hin, Mama.‘

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